Leicht veränderter Auszug aus meiner Diplomarbeit in Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz von 1999:

"Frau und Natur"

 

Philosophia (pdf-Datei)

 

Inhalt

 

 

Verwurzelung weiblicher Identität. 1

Sophia. 3

Du sollst dir ein Bildnis schaffen... 5

Isis. 6

Bilderkult 7

Die Grosse Göttin... 9

Hekate/Demeter/Kore. 10

Macht und Magie.. 14

Mond und Erde.. 20

Gaia. 22

Am Anfang ist die Mutter. 23

Das Mutter-Erde-Konzept. 25

Die Bedeutung der  Göttinnenbilder in der politischen Ökologie.. 29

Matriarchales Bewusstsein. 29

Ökofeministische  Spiritualität 35

Die politische Dimension der spirituellen Ökologie. 37

Literatur. 39

 

 

Verwurzelung weiblicher Identität

 

„Die Göttin, die die Seele der Erde, des Himmels, des lebendigen Wesens ist, in deren Leib wir Zellen sind, war einmal in uns wach, und alle kannten sie und ehrten sie in Frauen und Männern, in der Natur, im Wechsel der Jahreszeiten und in den Veränderungen unseres Lebens, in den Werken, die wir mit unserem Geist und unseren Händen schufen, in den Pflanzen und Tieren, in Mond, Sonne und Meer, in Baum und Stein und im komplexen Tanz, den alle Lebewesen miteinander tanzen. Wir lebten auf der Erde im Gleichgewicht. Frauen waren frei, und Männer auch, denn wir hatten noch nicht gelernt, uns gegenseitig zu unterdrücken“ (Starhawk 1991, S. 381).

 

Das Engagement des Lebens entsteigt dem Weiblichen. Frauen wurden als Inhaberinnen dieser natürlichen Schöpfungsmacht einst als Repräsentantinnen der Göttin geehrt. In heute noch existierenden Matriarchaten zeigt sich, dass Frauen mit ihrer Macht weniger konkurrenzorientiert und hierarchisch umgehen als Männer. Die mütterlichen Werte des Miteinander-Teilens sind vielmehr an gerechten Verhältnissen interessiert.

 

Auf gesellschaftlicher Ebene wird uns Frauen heute eine Fülle attraktiver Weiblichkeitsmodelle vorgeführt. Frauen müssen sich längst nicht mehr mit dem Heimchen am Herd identifizieren. Im Angebot der Vor-Bilder wäre auch beispielsweise die Politikerin, Managerin, Akademikerin, Priesterin und Sportlerin erhältlich. Diesen gesellschaftlichen Signalen stehen jedoch ganz andere individuelle Erfahrungen gegenüber. Viele Frauen mussten erfahren, dass sie im Rahmen des patriarchalen Bildes von der Welt, Gottes und des Menschen  keine eigene weibliche Identität entwickeln können. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Religion sind von Männern und für Männer konzipiert. In ihrer Domäne sehen sie Frauen nach wie vor am liebsten im Status der Zuschauerinnen und erlauben lediglich funktionalisierte Teilaspekte von Weiblichkeit zu integrieren. Das gesellschaftliche und geistig-seelische Selbstvertrauen der Frauen ist von männlichen Festlegungen und Wertschätzungen abhängig und bildet sich nicht aufgrund eigener Fähigkeiten und Leistungen. Echte weibliche Identität wird in diesem Ausverkauf nicht angeboten.

Der Frau ist es heute weitgehend gelungen, ihre Sklavenmentalität gegenüber dem Mann abzulegen. Für den Preis ihrer eigenen Weiblichkeit aber versklavte sie sich selbst, nicht zuletzt aufgrund mangelnder Alternativen, an das männliche Gesellschafts-, Werte-, und Denksystem.

 

Das patriarchale System ist durch einen Realitätsverlust gekennzeichnet, da es lediglich auf einer männlich konstruierten Wirklichkeit beruht. Für Frauen bedeutet dies in Lebensumständen verharren zu müssen, die den eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten zuwiderlaufen und die folglich notwendige Reifungsprozesse behindern. Sie sind fremd und machtlos in einer Gesellschaft, in der männliche Normen die Maßstäbe für Normalität geschaffen haben (Christa Mulack 1996, S. 33). Um mit Gerda Weiler zu sprechen: „Ob wir Frauen eine Vergangenheit haben, unsere Geschichte und unsere matriarchale Religion wiederentdecken, beeinflusst unser Selbstbewusstsein, unsere Befindlichkeit in dieser Welt hier und heute.“

 

Sophia

 

Die feministische Thealogin Christa Mulack erzählt den Mythos der Sophia, der „nicht nur weibliche Lebensweisheit, sondern in patriarchalen Zusammenhängen eben auch die Selbstverständlichkeit des Gefühls weiblicher Heimatlosigkeit übermittelt“ (Mulack 1996, 113). Der Mythos spiegelt das kollektive Erleben von Frauen wider.

 

Der Mythos in Kurzform:

Sophia, die Göttin der Weisheit, umkreiste schon vor aller Schöpfung das All  und durchdringt bis heute den Kosmos. Nur auf der Erde ist sie unbekannt. Einst hatte sie zwar die Macht über alle Völker der Erde, doch nach und nach hatte man sie aus der Welt verdrängt. Traurig und enttäuscht hat sie sich in ihre himmlischen Gemächer zurückgezogen. Doch noch immer hat sie ihre größte Lust und Liebe bei den Menschenkindern. Von Zeit zu Zeit begibt sie sich zurück auf die Erde und irrt suchend umher, nach einer Bleibe in den Herzen der Menschensöhne. Diese hätten die Macht, sie zurück in die Welt zu holen, aber sie weigern sich, ihr zu öffnen. „So muß sie immer wieder unverrichteter Dinge und betrübt in ihre himmlischen Wohnungen zurückkehren. Wer sich ihr jedoch öffnet, denen offenbart sie sich als göttliche Weisheit....“ (Mulack 1996, 113).

Ihr Mythos kann uns den Blick für jene Wahrheit schärfen, daß weibliche Authenzität in einer patriarchalen Welt notwendigerweise in die Irre gehen muß, da hier die geistigen und psychosozialen Bedingungen für Frauen einfach nicht mehr stimmen. Wir müssen also davon ausgehen, daß Sophia, die Göttin der Weisheit, heute nicht nur in den Menschensöhnen, sondern auch in den Seelen der Töchter eine Bleibe sucht (Mulack 1996, 115).

Hier handelt es sich um eine Mythisierung weiblicher Erfahrungen. Die Frauen verloren mit der Zerstörung der matriarchalen Strukturen ihr Ansehen und wurden aus ihren sozial verantwortlichen Positionen vertrieben (ebd. 114).  Der Weisheitsmythos der Sophia berichtet, wie weibliche Wahrnehmung, Wertesystem und Weltsicht durch die Patriarchalisierung aus der Welt gedrängt worden sind. Heute finden ihr zu Ehren keine Kulte und Rituale mehr statt und die Menschen können sie nicht mehr im kollektiven Rahmen in der Welt erleben.  

Mit dem bewußten Suchen nach einer weisheitlicheren Erkenntnisweise wird ein Weg frei für differenzierteres Welterkennen, in dem vor allem auch Frauen beginnen können, ihre Welterfahrung sensibler zu beobachten und in Worte zu bringen. Erkennen hat etwas damit zu tun, wie wir in der Welt das Leben erfahren. Bisher ist das Erkennen der Welt philosophisch fast nur aus männlicher Sicht beschrieben worden. Die Frau wird dabei meistens als schweigende, schöne Natur interpretiert. Nun kommt es aber darauf an, daß die „Natur“ zu reden beginnt (Stopczyk 1998, 15).

Im Mythos der Sophia wird die ganze physische Welt als der Leib der Sophia betrachtet. Dieser weibliche Weltleib wird dort nicht als leblose Materie oder Gebärmaschine verstanden, wie es die Philosophen seit Sokrates [[1]] tun und ihn als minderwertigen Gegensatz zum „reinen Geist“ stellen (Stopczyk  1998, 17)

 

Die Verordnung patriarchaler Normen und Werte  als einzige Realität  hat unsere gewalttätige Kultur geprägt. Heute, in der historischen Krise der maskulinen Dominanz, sehen wir das ganze katastrophale Ausmaß der „Siege“ über die Frauen und das Leben.  Wieder einmal in der Weltgeschichte ist es an der Zeit für eine geistige Neugeburt. Hebammendienste bietet eine ältere Form der Weisheit, die das Patriarchat auszulöschen versuchte. Es ist die uralte Weisheit  der göttlichen und beseelten Erdenmutter als ursprüngliche Schöpfungspotenz. Sie offenbart sich im Mysterium des Lebens als ewiger Wandel von Tod und Geburt. Mit der Erinnerung an die verlorene mystische Welt älterer, in der 'Mutter Erde' wurzelnder Religionen von Göttinnen kann es gelingen, eine andere ganzheitliche Welt außerhalb patriarchaler Kontrolle zu erschaffen. Damit die einseitige, destruktive, aus männlicher Herrschaft entstandene Welt „geheilt“ werden kann.

Das Engagement des Lebens entsteigt dem Weiblichen. Frauen wurden als Inhaberinnen dieser natürlichen Schöpfungsmacht einst als Repräsentantinnen der Göttin geehrt. Unser Leib, unsere Sinne und unsere Gefühle müssen wieder zu einer Quelle der Erkenntnis für die lebendigen und lebenserhaltenden Zusammenhänge werden, um die Probleme des Dritten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung zu meistern . Die magische Sprache von Poesie, Symbol, Ritual und Mythos kann dazu verhelfen, die verschiedenen sprachlichen, bildlichen und verspürten Erkenntnisregionen miteinander zu verbinden. Die weisheitliche Denkweise lässt sich gut mehrdimensional bildlich vermitteln. Mein Ausdruck weiblicher Schöpfungsmacht ist, in einem lustvollen Prozess aus einem Klumpen Tonerde, der Gottheit symbolisch Identität in einem weiblichen Körper zu geben. Mir hilft dabei ein Abbild einer Jahrtausende alten Figur. Die aus meinen Händen entstiegene Figurine erhält einen überlieferten Namen und Mythos aus der Vorzeit.

 

 

Du sollst dir ein Bildnis schaffen

 

Die älteste erhaltene Göttin-Figurine wurde vor 26 000 Jahren aus einem Gemisch aus Ton und Knochenmehl geschaffen (siehe Mati). Meine Reproduktion ist zwar aus modernem, lufttrocknenden Ton gefertigt, gleich geblieben ist aber sicherlich die Begeisterung für den Prozess, indem sich ein roher Klumpen zum  kultischen Bildnis wandelt. Mit jeder Furche, die ich in das Mater-ial ziehe, komme ich in Kontakt mit der Urheber/in von vor Tausenden von Jahren. Jeder und jedem Interessierten kann ich nur empfehlen, es selbst auszuprobieren. Wer jedoch seine Lebens-Lust lieber anders auslebt, aber gleichwohl an einem plastischen Bildnis einer prähistorischen Göttin interessiert ist, kann sehr gerne über diese Homepage eine Göttin-Figurine  bei mir bestellen.

 

Ein Denken in Bildern gilt in der patriarchalen Vernunfttraditon als unlogisch und irrational. Dieses intuitivere Denken wird üblicherweise dem kindlichen und auch weiblichen Denken zugeordnet und vom vernünftigen (maskulinen) Denken der „Erwachsenen“ abgespaltet. Dabei geht es hier um eine komplexere Logik, die auch mit Bildern wahrgenommenen Lebens arbeitet, statt nur mit definierten Wörtern zu jonglieren.

Die Mythenforscherin Gerda Weiler (1991) machte darauf aufmerksam, dass die archaischen Frauen einst Bilder schufen, um den verborgenen Sinn der Welt anschaulich und deutbar zu machen. Ihre Schrift bestand aus Bildern; „auch ihre Sprache formulierte Sinn-Bildliches, erfreute sich am bildhaften Ausdruck, der sich der Übertragung in die rational-konkreten Denkmuster moderner Sprachen widersetzt“ (Weiler 1991, 9). Im Symbol machten sich die matriarchalen Kulturen die Bedeutungsvielfalt der Erscheinungen bewusst.

 Das älteste Sinnbild für die ganzheitliche Erfahrung der 'Welt' als Einheit von Raum und Zeit ist der Kreis.

   Der Raum, in dem wir Leben, erscheint der schlichten Anschauung als Umkreis; der Himmel über uns ist schützende Wölbung. Höhle und Mutterleib bieten Geborgenheit und gelten als Sinnbild der kosmischen Dimension der Göttin und ihrer umfassenden Kraft. Der Kreis, das Runde, die Wölbung sind Urbilder ihrer Stärke und Seins-Macht, die unsere Welt als Ganzes umgreift.

   Die Zeit gehorcht den Kreisläufen der Natur...Das Mysterium von Werden und Vergehen ist der Kreislauf, über dessen Ordnung die große Himmelsgöttin wacht (Weiler 1991, 9f.).

Das kosmische Bild zeigte die ganze Welt als  den Leib der ewig gebärenden (kreißenden) Göttin. Alles was man sehen, tasten, schmecken, riechen, hören, denken und fühlen kann, galt als ihre direkte bildnerische Kraft.  Der ewige Kreislauf der Natur war die Grundlage des zyklischen Welt- und Lebensverständnisses im Matriarchat. Alles, was im Einklang mit der Natur steht und ihr Gleichgewicht nicht stört, ist gut (Mulack 1996, 194). Leben und Göttin wird in fast allen alten Mythen miteinander identifiziert, ebenso in den frühen gnostischen Schriften und Sophia-Mythen (Stopczyk 1998, 122). Das zyklische Denken wurde hervorragend durch die Spirale symbolisiert. Entwicklung bedeutet demnach, sich mit der Rückkehr in die Vergangenheit gleichzeitig vorwärts zu bewegen, meint die Thealogin Christa Mulack (1996, 192). Dies stärkt die Hoffnung, dass, wenn es einst andere Erkenntnisebenen gab, es diese in einer anderen Entwicklungsstufe wieder geben könnte. Es ist also bestimmt lohnend, sich mit der Energie der Göttin im Matriarchat noch etwas genauer zu befassen.

 

Isis

 

Einige Sophienforscher halten die ägyptische Weisheitsgöttin Isis für die direkte Vorläuferin der späteren Sophia. Isis wurde als „Himmelskönigin und liebende Mutter“ verehrt, in die sich lebende Frauen inkarnieren können Die berühmt-berüchtigte ägyptische Königin Kleopatra ließ sich als Inkarnation der Isis anbeten. Sie konnte an die zwanzig Fremdsprachen sprechen und verstand sich selbst als (Weisheits-) Göttin. Die Religion der Göttin Isis ist deshalb so interessant, weil sie die letzte große Glaubenslehre in Europa war, in der noch von einer politischen Ebenbürtigkeit zwischen Frau und Mann ausgegangen wurde. Sie ignorierte Klassen- und Rassenunterschiede, da der gemeinsame Nenner aller Menschen ihr Herkommen aus Isis sei, dem großen weltlichen Mutterleibe. Als gütige, gewaltlose Muttergöttin gleicht Isis der katholischen „Mutter Maria“, die zur abgeschwächten, verlieblichten und entmachteten Nachfolgerin der Isis wurde. Der griechische Philosoph und Historiker Plutarch (46-120 n. Chr.) beschrieb die Göttin Isis eindrucksvoll:

„Ihre Macht erstreckt sich auf den Stoff (die Materie), der alles werden kann und alles annimmt, Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Feuer und Wasser, Leben und Tod, Anfang und Ende.“

Mit der Geschichte der Isis ist die Gestalt des Osiris verknüpft. Vermutlich zu Beginn des vierten vorchristlichen Jahrtausends,  wurden die Kulte der beiden Gottheiten verschiedener unterägyptischer Stämme zu einem Mythos zusammengesetzt (vgl. Weiler 1991, 102f.).

 

Der Mythos in Kurzform:

Die mächtige Göttin Isis war die Gattin des Osiris, ihres Bruders, den sie schon im Mutterleib liebte. Aber ihr ränkesüchtiger Bruder Seth wollte die festgesetzte Ordnung ändern und ermordete Osiris durch eine List. Den Leichnam des Osiris legte Seth in einen Sarkophag und warf ihn in den Nil. Isis fand ihren toten Bruder-Geliebten in einem Mündungsarm des Nils und empfing von ihm auf magische Weise noch ein Kind. Horus wird als Muttersohn später die Rache an Seth übernehmen. Als Seth die Zeugung bemerkte zerstückelte er den Leichnam von Osiris in viele Teile, die er über das ganze Land zerstreute. Geduldig suchte Isis alle Teile und setzte sie wieder zusammen. Mit ihren Zauberkräften erweckte sie den Körper des Osiris und seitdem regiert er als Gott der Unterwelt weise und mild über die Toten.  Nur sein Penis konnte bis heute nicht wieder gefunden werden. [[2]] (vgl. Göttner-Abendroth 1980, 59ff.; Stopczyk 1998, 168f.).

 

Isis wird nach der Geburt des Horus auch als Hathor mit einem Kuhgehörn (Mond) dargestellt, das die Sonnenscheibe trägt. Mit Sonne und Mond vereint Isis in sich das männliche und das weibliche Prinzip. Stopczyk weist darauf hin, dass Isis als erstgeborenes Kind der Zeit, die selber Zeit  (Horus) gebiert, sich auch als Schöpferin aller anderen Gottheiten versteht. Das Mütterliche ist von Anfang an da und zugleich das Ewige, d.h. es ist ohne Zeit, kann aber die Zeit gebären. Durch Isis' Geburt des Physischen entsteht das Nacheinander der Zeit und damit alle Gestalten und Dinge (Stopczyk 1998, 169).

 

 

Bilderkult

 

Der Bilderkult ist für die antiken griechischen Verhältnisse und für das vorchristliche Rom um die Göttin Isis am besten bezeugt. Noch bis ins vierte Jahrhundert n. Chr. hinein zelebrierten ihn die Frauen in Italien (Stopczyk 1998, 122). Im Isiskult wurde das Erlebnis vermittelt, fremde machtvolle  Bilder im eigenen Leibe erfahren zu können. Es wurden Techniken gelehrt, mit denen die eigenen Wahrnehmungsarten willkürlich verändert werden konnten. Die PriesterInnen des Isiskultes verstanden sich als weibliche Inkarnationen der Isis auf Erden. Das gilt auch für die männlichen Priester, die deshalb lange Frauenkleider trugen (ebd. 123).

    Der Verleiblichungskult der Göttin Isis beinhaltete das bildliche Sichtbarwerden unsichtbarer Kräfte in jeder Materie, auch im Menschen. „In der Statue der Isis erscheint den Eingeweihten Isis selber. Das Bild ist der Leib und Körper der Göttin“ (ebd, 124). Isis verkörperte sich in ihren Abbildern und atmete auch in ihren Bildnissen. Bilder als göttliche Lebewesen erfahren zu können, scheint im Logos Denken ein sinnloser Hokuspokus zu sein. Stopczyk hält dem entgegen, dass in der Menschheitsgeschichte diese göttlichen Lebewesen für sehr viele Menschen bildlich und eigenleiblich spürbar gewesen sind (ebd.).

Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Transformationskünsten ist, dass in Mutterkulten die Verwandlungstechniken eine eigenleibliche Leistung ist und in Vaterkulten eine nach außen verlagerte technische Arbeit, in der Instrumente oder Reagenzgläser eine Rolle spielen (ebd. 125).

Aus der Magie, d.h. regelgeleiteten, heiligen Umwandlungshandlungen, entwickelte sich die Alchemie und aus dieser die heutige Naturwissenschaft. Auf dem Tempelstein der Isis von Sais steht der berühmte Satz: Ich bin alles, was war und was ist und was sein wird, und es war nie jemand, der meinen Schleier gelüftet hat (Plutarch 1936 Bd. V, Kap.IX).

 

Für Stopczyks „eigenleibliche Erkenntnisweise“ ist der Mythos der Isis wegen der Sammlung der zerstückelten Glieder des Leibes interessant. In der feministischen Wissenschaftskritik wird immer wieder das zerstückelnde „analytische Denken“ als männlich-zerstörerisch kritisiert. Die Philosophin wehrt sich aber dagegen „nur das Gegenteil vom Verneinten zu wollen, um das Verneinte aufzuheben“ und sich so „die Chance für eine balancierte Denkweise zu verscherzen“ (ebd. 170). Im ganzheitlichen, globalisierten Denken sieht sie die Gefahr, Einzelheiten und Minderheiten zu vernachlässigen.

    In ihrem „leibphilosophischen Sinne“ fordert sie, heute eine Art des „differenzierenden Denkens“ zu suchen, das die Vorteile der zerstückelnden und zusammensetzenden Denkweisen integriert. Das bedeutet, ein Detail oder die kleinste Form wird ganz für sich allein betrachtet, ohne es als etwas Lebendiges zerstören zu müssen, wie in der sezierenden naturwissenschaftlichen Methode. Die „Zerstückelung des Körpers“ kann im mythisch-archaischen Sinne auch als „eigenleiblich erlebte Einbildekraft“ verstanden werden (ebd. 171).

Der eigene Leib wird als sensible Quelle der Erfahrung und Erkenntnis anerkannt und auch bewußt sensibilisiert.... Der Mythos der Isis mit ihrem zerstückelten männlichen Spiegel Osiris kann ebenfalls als Meditationsweg gelesen werden (ebd. 173).

Für die „Einweihung“ in das Wissen um die Naturgeheimnisse, muss der eigene Leib sensibilisiert werden und nicht weggedacht oder abstrahiert, wie seit den griechischen Philosophen behauptet wird. Bei der Einweihung der ägyptischen Lebens-/Leibeslehre  der Isis empfand sich die meditierende Person wie eine zerstückelte Leiche und glaubte sich tot. Isis führte aus diesem „Meditationstod“  die „Auferstehung“ in den neu zusammengesetzten Leib herbei (ebd.).

 

Die „einweihende“ Mysterienkunst  bestand (und besteht wahrscheinlich) darin, sich von einem Bild, einer Statue oder einem (uralten) Text über die Göttin oder den Gott gleichsam „vereinnahmen“ zu lassen. Die verschiedenen Techniken hierfür, können aus den Ritualen, die zu einem Kult gehören, gewonnen werden. Stopczyk ist der Ansicht, dass es für Frauen viel einfacher ist, sich empfangend einzustellen „und zwar mit der Absicht, etwas Unbekanntes verstehen zu wollen. Es ist so, als streckten wir „unsichtbare Fühler“ aus, mit denen wir die Wirklichkeit fast „berühren“ könnten“ (Stopczyk 1998, 180). Der Erkenntnisweg der Isis entstand aus den weiblichen, vorpatriarchalen Frauenkulturen und ist „eher den Frauen auf den Leib geschrieben“ (ebd. 177). Diese Erkenntnis kommentiert Stopczyk so: „Was hier den Männern und der ganzen Gesellschaft entgehe, wenn sie Frauen einschränken, ist ein Weisheitswissen des Leibes, das noch wenig erforscht ist“ (, 177).

 

 

Die Grosse Göttin

 

Als die Menschheit aus dem Dunkel der Vorgeschichte aufbrach, erkannte sie eine weibliche Gottheit. Die kultische Überhöhung der Frau als Medium des Wiedergeburtsmythos spiegelte sich in den lebensspendenden Muttergottheiten auf der ganzen Erde wieder (Dumont du Voitel 1994, 79). Die ältesten aufgefundenen Figurinen sind dreissigtausend Jahre alt (Mulack 1996, 198). Sie wurden über viele Zeitalter hindurch und in weiten Teilen der Welt zahlreich geschaffen, um die Erhaltung der Lebenskräfte zu symbolisieren. Die Wandlungskraft der Großen Göttin mit Leben, Tod und Erneuerung wurde auch mittels Pflanzen und Tiere versinnbildlicht, z. B. durch Eier, Bienen, Schmetterlinge, Schlangen, Kröten oder Auerochsen ebenso wie durch  Bäume, Blumen oder Früchte (vgl. French 1988, 61ff.). Alle Zeugnisse aus der Vorzeit belegen, dass von Anfang an die Frau und die Erde mit dem Konzept weiblicher Göttlichkeit verwoben war. Riesenbrüste, gewölbter Bauch, weite Vulva und Schenkel wie Baumstämme; diese Leiblichkeit birgt das Wunder der Geburt.

Das patriarchale Vaterprinzip hat sich eben nicht 'mit der organischen Notwendigkeit einer Geburt der Urwärme des Mutterschoßes entrungen', sondern es hat das matriarchale Weltbild verdrängt. Die Erlösungsidee des patriarchalen Vaterprinzips, die Idee des reinen Logos, will die Menschheit von der Natur, vom Stofflichen und vom Körper befreien. Im Bewußtsein dieser Heilsidee lauert die Angst vor der Macht der Natur, eine Angst, die sich in der Projektion auf das Weibliche ein Ventil sucht (Weiler 1991, 120).

Annegret Stopczyk weist darauf hin, dass das Bilderverbot [[3]] ein wesentlicher Bestandteil der patriarchalen Logos-Geschichte ist, „denn es richtet sich vor allem gegen jene Erkenntnisweisen, die von Frauen gelebt wurden“ (1998, 120). Die ersten Darstellungen von männlichen Gottgestalten und Heroenfigurinen kommen erst ca. tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung vor und künden bereits von der Verdrängung weiblicher Sphären (vgl. König 1988).

    Auch der christliche Gott ist ein Logos. Im Evangelium des Johannes steht geschrieben: „Im Anfang war das Wort, und Gott war das Wort“. Schriftlose Zeiträume gelten als „geschichtslos“, „prähistorisch“ oder „archaisch“. Da in der Logos-Tradition erst das geschriebene Wort als wissenschaftlich gilt, werden matristische (mutterzentrierte) Spuren und „archaische  Denkweisen“ in der Wissenschaft kaum thematisiert (Stopczyk 1998, 120).

 

Die spirituelle Ökofeministin Starhawk erkennt in der Mythologie und der Bildersprache der Göttin eine besonders befreiende Kraft zur Überwindung der Probleme der heutigen Zeit. „Die Göttin repräsentiert die manifest gewordene Heiligkeit des Lebens“ (1991, 37). Sie symbolisiert nicht weibliche Herrschaft, „sondern die Freiheit von jeglicher Herrschaft“ (ebd. 38). Alle Symbole und Praktiken, die mit ihr verbunden sind, bestätigen ihre Immanenz in Natur und Kultur, in Leben und Tod.

 

 

Hekate/Demeter/Kore

 

Für die Sensationen des Isiskultes war die Erdgöttin Demeter mit ihrer Tochter Kore (Persephone) das Anrufungspaar. „Griechische Göttinnen im ägyptischen Kult auf römischem Boden bildeten das Mysterium im eleusinischen Kult der Isis“ (Stopczyk 1998, 123).

 

Der Mythos in Kurzform:

Demeter ist die matriarchale Vegetationsgöttin, die den Völkern den Getreideanbau und den Umgang mit dem Pflug lehrte. Sie war sanft, gütig und liebevoll und spendete unerschöpfliche Fruchtbarkeit auf Erden.

 Eines Tages verliebt sich Hades, der Gott der Unterwelt, in Demeters liebliche Tochter Kore. Als das Mädchen fröhlich und unbekümmert auf einer Wiese Blumen pflückte, wurde sie von  Hades überwältigt und in den Tartaros entführt. In tiefem Kummer suchte Demeter ihre Tochter neun Tage und neun Nächte. Als sie von Kores Entführung in die Unterwelt erfuhr, untersagte sie in ihrem Zorn und Trauer den Blumen das Blühen, den Bäumen das Früchtetragen, dem Korn das Wachsen, den Tieren die Vermehrung und den Himmeln das Regnen. Dürre und Not verbreitete sich und die Menschheit drohte auszusterben. Da fürchteten die Götter ihren eigenen Untergang und Zeus zwang Hades, Kore an ihre Mutter zurückzugeben. In Eleusis, an der gleichen Stelle, wo Hades mit Kore in seinem Wagen in der Erdschlucht verschwunden war, kehrte die Mädchengöttin in die Welt des Lichtes zurück. In jubelnder Freude begrüßt Demeter ihre Tochter und läßt die Erde wieder fruchtbar werden.     Doch Kore hat im Tartaros von einem Granatapfel, der Todesfrucht, sieben Kerne gegessen. Sie muss während der drei Monate anhaltenden  Zeit der Dürre und Unfruchtbarkeit zu Hades zurückkehren. Unter dem Namen Persephone wird sie die Göttin der Unterwelt. Die fruchtbare Jahreszeit aber darf sie bei ihrer Mutter auf der Erde verbringen. Die alte Göttin Hekate hat über die Einhaltung des Vertrages zu wachen. (Göttner-Abendroth 1980, 33f.)

 

Diese Version des Demeter-Mythos stammt bereits aus patriarchaler Zeit. Doch Demeter verfügte noch eigen-mächtig über ihre Fruchtbarkeit. Durch ihre Verweigerung sind die aufstrebenden patriarchalen Götter zum Einlenken gezwungen. Nach Christa Mulack stellt der Mythos den männlichen Kampf gegen die matriarchale Kultur  dar und den weiblichen Widerstand gegen die zunehmende Patriarchalisierung (1996, 248ff.).  Demeter war ursprünglich, ebenso wie Persephone und Hekate, eine dreifaltige Göttin, die in sich selbst das Mädchen, die reife und die greise Frau vereinte (Weiler 1991, 33).  Der Urmythos wird im Kult der Eleusinischen Mysterien zum Ereignis, wenn  die drei  souveränen Göttinnen Kore (Jungfrau), Demeter (Mutter) und Hekate (Weise Alte) zu einer Triade zusammentreten.

Für das patriarchale Bewußtsein ist die Aufspaltung der dreifaltigen Göttin in feste Göttinnengestalten ein Fortschritt. Erst jetzt kann die Mädchengöttin vergewaltigt, die reife Frauengöttin der männlichen Sexualität unterworfen und die Todesgöttin dämonisiert werden (Weiler 1991, 34; Hervorheb. im Original).

Alle drei Gestalten bilden zusammen eine Gottheit, „die Dreiheit in der Einheit, die erste Dreifaltigkeit, die matriarchale Große Göttin“ (Göttner-Abendroth 1982, 75). Für Mary Daly ist diese Dreifaltigkeit keineswegs nur ein „Familienmodell“, sondern hat „zeitliche, räumliche und kosmische Bedeutungen“ (1981, 99).

    Göttner-Abendroth (1982, 74) erläutert das „Dreistockwerk Weltbild der archaischen und antiken Völker“, in welchen sich das Dreierschema der „Göttinnenstruktur“ wiederspiegelt: Der Himmel ist die oberste Region, die Heimat der göttlichen Gestirne. Hier oben wohnt die jugendliche, helle Göttin, die im astralen, jagenden Mädchen verkörpert ist. Die mittlere Region besteht aus Meer und Land, es ist die Welt der Menschen. Hier wohnt die Muttergöttin, die mit ihrer erotischen Kraft für Fruchtbarkeit sorgt und so das Leben erhält. Aus der Unterwelt, die Region unter der Erde und den Gewässern, kommen die geheimnisvollen Kräfte des Todes und der Wiederkehr. Hier wohnt die Todesgöttin als Weise Alte Frau. Sie bestimmt den Untergang und Aufgang der Vegetation, der Menschen und der Sterne.

 

Die Theologin Hanna-Barbara Gerl beschreibt die dreifache Göttin in ihrer „christlichen Überformung, Neudeutung und integrativen Weiterführung des magisch-mystischen Bestandes“ (1989, 140). Da ist v. a. die Gestalt „Unserer Lieben Frau“ zu nennen [[4]], in der sich die Überlieferungen  aller drei „Mütter“ treffen: die samstägliche Erdmutter, als „Madonna im Ährenkleid“ (ohne Kind!) ,und die sonntägliche Sonnenfrau, die als „Schwarze Madonna“[[5]] an vielen der ältesten Wallfahrtsorte angerufen wird, und die montägliche „Madonna auf der Mondsichel“ (oder „Himmelskönigin“), den Mond zu Füßen, die Sterne über dem Haupt und auf dem Mantel, der zugleich das ganze Himmelszelt ist (ebd.).

Die ungeheure Verdichtung der drei segnenden Mütter in Maria, einer einzigen geschichtlichen Frau, ist ein großartiger Hinweis darauf, wie Maria in der instinktsicheren Ausdeutung der frühen Theologie Schöpfung überhaupt vergegenwertigt, und zwar die Schöpfung in ihrer erst-erlebten dreifachen Anschaulichkeit in Erde, Sonne Mond (Gerl 1989, 140).

Für Gerl  hat die „dreifache Mütterlichkeit der Welt ... nichts mit einem Rückfall in Magisch-Unbewußtes zu tun“(1989, 142) Aufgrund der wachsenden Erfahrung und Trauer über die sichtbaren Schäden an der Natur geht es vielmehr um das „Zulassen und Hereinlassen der in dieser frühen Phase grundgelegten 'Andacht zur Erde'“ (ebd.). „Vor diesem gefährlich sich verdunkelnden Hintergrund“ (ebd.)  gilt es „die Natur nicht bloß als Natur, sondern als Schöpfung wahrzunehmen. Damit sind die 'alten Mütter' nicht verschwunden, sie lösen sich in dem bezaubernd jugendlichen Antlitz der Schöpfung ein“ (ebd. 144).

 

Gerda Weiler (1991 35ff.) beschreibt was in   Eleusis [[6]] geschah: „ Die Eleusischen Mysterien haben den Kern des matriarchalen Schöpfungsglaubens und das ursprüngliche matriarchale Kultgeschehen bewahrt“ (ebd. 38). Bei den 'Großen Mysterien' wurde  das Wunder der Wiedergeburt Ereignis. Es durften nur Menschen daran teilnehmen, die zuvor in den sogenannten 'Kleinen Mysterien' in das Geheimnis des Todes eingeführt wurden. Das kultische Geschehen wurde dominiert durch den Unterweltcharakter mit Wassermangel und Finsternis. Im Herbst, wenn die mörderische Hitze zu Ende ging und die ersten Wolken auf den erlösenden Regen hoffen ließen, begannen in Athen die Vorbereitungen für die 'Großen Demeter -Mysterien'. Die Mysten wurden ins Meer, ins einigende Urelement, gerufen. „Mit der reinigenden Handlung traten die Mysten in das Wesen der Göttin ein und betrachteten sich als identisch mit ihr“ (eb. 36). In einer langen Prozession zogen die Mysten mit den heiligen Zweigen des Myrtenbaumes nach Eleusis. In den Großen Mysterien wurde Kore und damit alles Leben wieder aus dem Reich des Todes herausgeführt. Dann geschah das eigentliche Mysterium: Demeter feiert die heilige Hochzeit mit ihrem Bruder Zeus und gebiert ihren Sohn Pluto, der eine Erscheinungsform des Hades ist. Ursprünglich verkörperte Pluto die Frucht, besonders den Weizen, der in die 'Unterwelt' muss, um neu ergrünen zu können. Er symbolisiert Reichtum und Fülle, das Geschenk der Göttin an die Menschheit, nach der entbehrungsreichen Zeit der sommerlichen Hitze.

 

Pluto verkörpert als Geschöpf der Göttin die geschaffene Welt. Ihm gilt ursprünglich Demeters Ruf, nicht der Tochter. Der Sohn verkörpert im matriarchalen Bewußtsein die Einheit der Schöpfung. Er reift zu ihrem Geliebten heran, verbindet sich mit ihr in der heiligen Hochzeit, er stirbt, um durch sie wieder geboren zu werden. Entgegen der üblichen Gleichsetzung von Frau und Natur erkennt Gerda Weiler im Sohn, dem „uranfänglichen Mannesgeschöpf“, die Verkörperung der Vegetation im matriarchalen Bewußtsein. Er erfährt durch die Göttin an sich selbst die gesetzmäßigen Durchgänge von Tod und Wiederkehr. „Jede Tochter aber ist mit der Mutter identisch und repräsentiert ihre hervorbringende schöpferische Kraft“, sie garantiert die Fortdauer des Lebens (Weiler 1991 39). Heide Göttner-Abendroth stellt fest, dass er durch die 'Heilige Hochzeit' in ihrer „panhaften Fruchtbarkeit“ integriert ist (Göttner-Abendroth 1982, 20).

   Ebenso argumentiert Christa Mulack: Die Göttin der Vorzeit war Ursprung und Urgrund allen Lebens, folglich war auch das Männliche Teil ihrer selbst, da sie es hervorgebracht hatte (Mulack 1996, 199). Wie die Gestirne des Himmels und die Vegetation der Erde aus dem Leib der Großen Göttin hervorgehen, so entstammen beide Geschlechter der Frau. „Folglich veranschaulicht nur das Weibliche das Ewige, wohingegen das männliche Symbol des dem ewigen Kreislauf der Vergänglichkeit Unterworfene ist“ (ebd. 195).

 

Die magischen Feste waren der Höhepunkt der Verschmelzung von mythischer Anschauung und gesellschaftlichem Leben. Die ästhetische Dimension, in der sie sich bewegten, war keine des schönen Scheins, sondern der sozialen und politischen Realität....Die Menschen waren bestrebt, alles miteinander zur Übereinstimmung zu bringen. Denn ihre Gemeinschft galt ihnen als das irdische Abbild der kosmischen Ordnung der matriarchalen Göttin, der Muse (Göttner-Abendroth 1982, 14).

Bei diesen „eleusinischen Mysterienkulten“ ging es darum, die eigene Göttlichkeit zu erleben, „aber in einem leiblich erfahrbaren Bildsinne, nicht nur als abstrakten Wortglauben“ (Stopczyk 1998, 123). Es gibt keine Trennung zwischen Darsteller und Zuschauer, alle „haben selbst Teil am kultischen Geschehen, sie praktizieren matriarchale Magie: die Kunst der Teilhabe am Naturgeschehen, durch die sich Frauen und Männer mit den kosmischen Kraftströmen verbinden“ (Weiler 1991, 40).

 

 

Macht und Magie

 

Die erdrückende Umweltproblematik und die allgemeine Erfahrung, dass die herkömmlichen Strukturen des politischen Systems diese nicht angemessen bearbeiten können, berechtigt zu der Frage, wie das Wesen jener Macht zu verändern wäre, in der unsere Gesellschaft verwurzelt ist? Der feministische Blick auf die Wirklichkeit will verstehen, in welcher Weise Frauen durch die Machtstrukturen geprägt  wurden, um diese selbst formen und gestalten zu können. Im Namen männlicher Macht wird das Leben Schwächerer zum Mittel für die Starken (Mulack 1996, 131). Was wäre aber dann unter weiblicher Macht zu verstehen? Ich werde verschiedene Formen und Definitionen von Macht untersuchen und dabei der These nachgehen, dass Frauen eine andere Vorstellung von Macht haben als Männer und daher mit der Macht auch anders umgehen können. Damit mache ich mich bewusst zur Ketzerin wider der herrschenden Ideologie, die Macht als geschlechtsneutral behandelt, obgleich vor allem Männer sie besitzen.

 

Die Worte „Magie“ und „Macht“ haben im deutschen die selbe Wortwurzel [[7]]. Hannah Arendt hat darauf hingewiesen, dass der Begriff des „Vermögens“ im Deutschen wie im Griechischen und Lateinischen den Ursprung des Machtbegriffs bildet; „die deutsche Macht“ leitet sich „von 'mögen' und 'möglich', und nicht von 'machen'“ ab (1981, 133). Sie versteht unter 'Macht' „ein Machtpotential, und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches wie Kraft oder Stärke“ (Arendt 1981, 133). Stärke besitzt jeder Mensch im gewissen Ausmaß von Natur aus. „Macht aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen“ (ebd.). Während Max Weber's Machtbegriff [[8]] auf die Durchsetzung des eigenen Willens gegen den Willen anderer abhob, erkennt Hannah Arendt in der Macht etwas, das aus Handlungsvermögen und Beziehungen erwächst und an diese gebunden ist. Selbst in patriarchalen Zusammenhängen gibt es anscheinend einen grundlegenden Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Machtverständnis.

 

Bei der Untersuchung nichtpatriarchalischer Gesellschaften gab Ilse Lenz der Macht von Frauen eine „herrschaftsfremde Deutung... Denn hier ist die Macht von der nicht-existenten Herrschaft abgekoppelt“ (1990, 45). Auch die Göttin „symbolisiert nicht die weibliche Herrschaft über Männer, sondern die Freiheit von jeglicher Herrschaft“ (Starhawk 1991, 38). Den Machtbegriff von der patriarchalischen Prägung zu befreien, hieße für Frauen und Männer, die Macht einer eigenständigen Entscheidung über sich selbst zu haben, statt den eigenen Willen gegen andere durchzusetzen (Lenz 1990,  9).

Männliche Herrrschaftsmacht [hat] sich auf Kosten einer ganz anderen Macht durchgesetzt, die Frauen im Umgang miteinander und mit der Natur als weibliche Seins- und Beziehungsmacht entwickelt hatten. Sie bildete einst die Grundlage für die Entstehung von Kultur. Ohne sie wird jede Kultur in Zerfall und Selbstzerstörung enden (Mulack 1996, 10).

Christa Mulack veranschaulicht den Unterschied zwischen männlicher Herrschaftsmacht und weiblicher Seinsmacht auf der Grundlage eines besonderen „Vermögens“ im Sinne von Fähigkeiten. Sie hat einen spezifisch weiblichen Machtbegriff „im Sinne von positiver Autorität“ herausgearbeitet (1996, 132f.). Müttern erwächst eine grundlegende weibliche Beziehungsmacht „sozusagen naturgegeben aus ihrer Schöpfungsmacht“ (ebd. 134). Nur Frauen ist es gegeben, Leben zu erschaffen und zu nähren. Als Innhaberinnen dieser Macht wurden sie einst als Repräsentantinnen der Göttin geehrt.

Wie heute noch existierende Matriarchate durchgängig erkennen lassen, gehen Frauen in der Tat anders mit Macht um... Das heißt, daß sie benutzt wird, um einerseits das Gleichgewicht der Gemeinschaft immer wieder herzustellen und zu erhalten und andererseits die mütterlichen Werte des Teilens durchzusetzen. Wo aber das Miteinander-Teilen grundlegend ist für das soziale Wertemuster, bleibt kein Raum für Formen der Herrschaftsbildung (Mulack 1996, 134f.).

Solche sozial-ethischen Übereinstimmungen über Kontinente hinweg, zeigen laut Mulack, daß Frauen und Mädchen weniger darauf bedacht sind, ihre Ziele mit egoistischen Mitteln und auf Kosten anderer durchzusetzen (ebd. 138). Sie üben damit im Sinne Max Webers weniger Macht aus, da sie weniger konkurrenzorientiert und weniger an hierarchischen als vielmehr an gerechten Verhältnissen interessiert sind.

 

Die amerikanische Ökofeministin Starhawk hat drei Arten von Macht bestimmt, die von bestimmten Motivationen abhängig sind (vgl. 1991, 28ff.). Jede von ihnen wurzelt in einer Weltanschauung, spricht eine eigene Sprache und stützt sich auf ihre eigenen Mythologien.

    Auf die „Macht-über“ ist ein Bewußtsein gestützt, das die Welt als ein Objekt betrachtet, das aus vielen abgetrennten Teilen zusammengesetzt ist, die kein eigenes Leben und Wert haben. Die Technologie ist die „Macht-über“ der mechanistischen Wissenschaft, mit der Atombombe als höchstem Symbol. „Macht-über“ motiviert durch Angst und ihre Sprache ist das Gesetz. „Ihre Herrschaftssysteme schaffen Angst und bieten dann die Hoffnung auf Erleichterung als Gegenleistung für Unterwürfigkeit und Gehorsam“ (Starhawk 1991, 29). Die „Macht-über“ funktioniert, indem sie fälschlicherweise „den Geist als von der materiellen Welt und von der Welt echten politischen und wirtschaftlichen Kampfes abgetrennt“ betrachtet (ebd. 31).

Die Spaltung zwischen Geist und Materie, derzufolge Gott und alles Heilige außerhalb der Welt der Formen, der Erde und des Fleisches angesiedelt wird, ermöglicht die Ausbeutung und die Vernichtung von Menschen sowie der Ressourcen der Erde (ebd.).

 

Dagegen haben „Macht-von-innen“ und „gemeinsame  Macht“ einen  Ursprung, der mit Geist und nicht mit Gewalt verwandt ist (ebd. 31). Gemeinsame Macht „schätzt Lebewesen, Energien und Menschen in Übereinstimmung damit, wie sie auf andere wirken, und im Einklang mit einer Geschichte, die auf Erfahrung beruht“  (ebd. 30). Die Sprache der „gemeinsamen Macht“ ist der Klatsch. Diesen interpretiert Starhawk positiv als Informationslieferanten darüber, „was wir realistischer Weise an gemeinsamen Handlungen von der Gruppe erwarten können“ (ebd.). Der Klatsch könne die soziale Ordnung in einer eng verknüpften Gesellschaft viel wirksamer aufrechterhalten als das Gesetz.

    „Macht-von-innen“ geht aus einem Bewusstsein hervor, das die Welt als ein aus dynamischen Einzelteilen zusammengesetztes Lebewesen ansieht. In dieser Welt sind die Dinge stets im Wandel, es gibt keine feststehenden Grenzen und keine einfachen Ursachen und Wirkungen. Alle Dinge haben einen immanenten Wert, „weil alle Dinge Wesenheiten sind, Bewußtsein haben in einer Weise, die wir uns kaum vorstellen können, miteinander in Mustern verflochten sind, die zu komplex sind, als dass sie mehr als nur teilweise beschrieben werden könnten“ (Starhawk 1991, 29).  Die Sprache der „Macht-von-innen“ ist Poesie, Metapher, Symbol, Ritual, Mythos. In dieser magischen Sprache ist das Konkrete von Mysterien durchdrungen, die über dessen scheinbar feste Form hinausgehen. Starhawk bezeichnet Magie als die Kunst, „Macht-von-innen“ hervorzurufen (1991, 40).

 

Mit Hilfe „Göttin-orientierter, ritueller Magie und Zauberei“ werden im matriarchalen Symbolsystem Frauen ermutigt , „ihren Willen zu erkennen, zu glauben dass ihr Wille richtig ist und dass ihr Wille in der Welt durchgesetzt werden kann“ (Christ 1985, 14).

Die Göttin ist ein Zentrum oder Brennpunkt von Macht und Energie. Sie ist die Personifikation der Energie, die zwischen Wesen in der Natur und den menschlichen Welten fließt (Christ 1985, 13).

Magische, schamanische oder übernatürliche Kräfte, Zauberei, Trance-Zustände und heilende Fähigkeiten werden häufig den Frauen zugesprochen. In Europa wurden Frauen bekanntlich über Jahrhunderte hinweg in Verbindung mit der Zauberei, der Hexerei und dem Teufel gebracht und zu Tausenden bestialisch ermordet.

     Waltraud Dumont du Voitel berichtet u. a. von den Mundúrúcú vom Amazonasgebiet (1994, 320f.). Die Männer haben die formalen Führungspositionen in Religion und Politik inne. Die Frauen hingegen versuchen, Macht und Einfluss im Magischen und im Übernatürlichen auszuüben, wo weiblicher Symbolismus dominiert. Dies kann aber nie gesellschaftlich legitimierte Macht ausgleichen, da Frauen im allgemeinen der männlichen Autorität unterliegen. Die Macht über das Übernatürliche zu haben gibt den Frauen immerhin das Gefühl, der alltäglichen Unterdrückung ausweichen zu können oder wenigstens durch die Drohung, ihre Magie einzusetzen, das gesellschaftliche (incl. männliche)  Verhalten in ihrem Sinne  zu steuern (Dumont du Voitel 1994, 321).

 

Starhawk erläutert die Grundsätze der Magie : Es ist das Wissen,  „daß die Wirklichkeit tiefer, komplexer, vernetzter ist, als sie erscheint. Ihre Tiefen können wir ergründen, jedoch nicht ermessen“ (1991, 41). Die Magie umfasst Techniken des Rituals, der Feier, der Arbeit und das Formen und Bewegen von Energie. Es ist ein Fundus an Wissen aus vielerlei Quellen und ein vielbenutztes Werkzeug, um Systeme aufzubauen, die nicht prinzipiell weniger hierarchisch sind wie die Konstrukte der mechanistischen Wissenschaft.

Eine Befreiungspsychologie begreift die Grundsätze der Magie und setzt deren Werkzeuge ein, um die Hierachien herauszufordern, die uns in Unfreiheit halten, und um Strukturen zu schaffen, welche die Werte des immanenten Geistes, der Verbundenheit, der Gemeinschaft, der Ermächtigung und der Ausgleichung verkörpern (Starhawk 1991, 41).

Magie lehrt, so Starhawk (1991, 40ff.), dass Lebewesen nicht nur aus Materie, sondern auch aus Energie und Geist bestehen. Diese Energie, die von den Chinesen als chi  bezeichnet wird, fließt in bestimmten Mustern durch den menschlichen Körper und kann erweckt, gespeichert, geformt und übermittelt werden. Die Akupunktur und andere naturheilkundliche Systeme beruhen auf dieser Theorie. „Leibliche Wesen“ können durch konzentrierte Visualisierung Energiestrukturen schaffen und die Wirklichkeit beeinflussen.

 

Energie ist Macht, und in der „rituellen Magie wird die Energie von der Macht des Willens gelenkt“ (Christ 1985, 14). Diese Macht kann prinzipiell zum Guten wie zum Bösen eingesetzt werden. „Die Fähigkeit von Frauen zum Bösen ist selbstverständlich genauso groß wie die von Männern“ (ebd.). Doch haben Frauen in der „Göttin-zentrierten Religion“ eine andere Einstellung zum Gebrauch ihres Willens, meint Carol Christ. Dieser  kann nur dann verwirklicht werden, „wenn er in Harmonie mit den Energien und den Willen anderer Wesen ausgeübt wird“ (ebd.).

 

„Natürlich sind unserer Macht, die Wirklichkeit zu formen, Schranken auferlegt“, räumt Starhawk ein (1991, 41). „Die Wirklichkeit hat auch die Macht, uns zu formen, und ihre Macht ist meistens stärker als die unsere“ (ebd.). Starhawk wendet sich gegen jene „New Age“-Philosophen, die behaupten, dass wir unsere eigene Wirklichkeit schaffen. Eine solche Feststellung kann zu einer Art Schuldzuweisung  an mögliche Opfer werden.

Wir treten in eine Wirklichkeit ein, die bereits vorgegeben ist; innerhalb dieser Gegebenheiten können wir Entscheidungen treffen, die unsere Zukunft formen, aber die Wirklichkeit ist ein kollektives Ereignis und kann nur durch kollektives Handeln verändert werden (ebd.)

Eine Veränderung des Bewusstseins löst Handlungen aus, die die Wirklichkeit formen. Für Starhawk ist Magie nur durch Handeln zu verwirklichen (ebd. 42).

 

Maria Mies hat in ihrem „Tantra-Aufsatz“ den Unterschied zwischen Magie und Religion deutlich gemacht (1984b, 84f). Sie sieht Magie wie Starhawk als eine aktive, tätige Grundhaltung an, „die mit der Natur als lebendigem Wesen in Interaktion tritt“ (Mies 1984b, 84). Religion hingegen ist passiv und kontemplativ und erwartet alles von einem „höheren Wesen“. Außerdem unterscheidet Mies anhand von Beispielen aus Indien, zwischen der weiblichen praktischen Magie und männlicher Wort-Magie (ebd.). Weibliche Magie  besteht aus Drama und magischem Tanz. Da Frauen für die Produktion des Lebens zuständig sind, ahmt sie häufig Natur- und Arbeitsvorgänge nach. Die magische Vorstellung von der Einheit der weiblichen Fruchtbarkeit und der Fruchtbarkeit der Erde kommt ohne männliche oder göttliche Mitwirkung aus. Auf geheimnisvolle Weise bringen Frauen und Erde neues Leben aus sich selbst hervor, „beide beherrschen die Magie des Hervorbringens, des Neu-Schaffens“ (ebd. 87). Dies soll der wichtigste Grund sein, warum z. B. in afrikanischen Gesellschaften auch heute noch die eigentliche Feldarbeit von Frauen gemacht wird.

    Die Bedeutung der Frauenarbeit bei der Produktion von Grundnahrungsmitteln bestimmte auch das Prestige der Frau in matriarchalen Gesellschaften mit, wie Gerda Weiler darlegt (1991, 67). Das Ansehen der Frau ging über die profane Bedeutung der 'Ernährerin der Familie' weit hinaus, da die Nahrungsbeschaffung kultischen Charakter hatte. „In matriarchalen Gesellschaften standen Ackerbau und Vorratshaltung, die weise Verteilung der Vorräte im Dienst an der Göttin“ (ebd.). Mit der Aneignung von Grund und Boden ernannte sich der Mann zum „Ernährer der Familie“. Dieser Begriff ist im Laufe der abendländischen Bewusstseinsentwicklung so geläufig geworden, dass niemanden mehr die Vereinnahmung des matriarchalen Symbols auffällt.

    Die matriarchale kultische Seins-Macht degenerierte zu patriarchaler, am Besitz orientierter Macht-Haberei (ebd.). Die männliche Magie der Zaubersprüche deutet laut Weiler darauf hin, dass Männer nicht mehr an der praktischen Lebensproduktion beteiligt sind und nun Magie und Arbeit getrennt wird. Aus dieser Wort-Magie der männlichen Schamanen entwickelten sich schließlich die patriarchalen „höheren“ Religionen (Mies 1984b, 84). „Das patriarchale Gottesbild legitimierte die Machtentfaltung des Mannes und die vom Mann beherrschte Gesellschaftspraxis“ (Weiler 1991, 67).

 

MA-triarchale Ener-GIE ist die Magie, die laut Gerda Weiler Veränderungen schafft: „Verschmelzung, Trennung, Tod und neues Leben“ (1991, 72). Energie wird durch Visualisierung gelenkt, die Vorstellung bestimmt das Handeln, meint Starhawk (1991, 42). Für sie ist Energie erotisch und eine Manifestation des Heiligen, aus dem die Mysterien schöpfen. MA-GIE, die schöpferische Kraft des weiblichen, sieht Weiler in feurigen und roten Energien, „durch die einst weibliche Wandlungsmysterien bewegt worden sind“ (Weiler 1991, 84). Seit sich die patriarchale Gesellschaft die weibliche Kultmacht der „roten Energien“ angeeignet hat, müssen Frauen „ihre Leidenschaftsnatur unter einem Laken scheuer Keuschheit verbergen“ (ebd.). Aus MA-GIE wird 'Zauber'. Das deutsche Wort 'Zauber' geht auf das altenglische 'teafor' zurück, das 'rote Farbe' bedeutet. „Darin drückt sich die ursprüngliche Energiequalität, das verborgene matriarchale Wandlungsmysterium aus“ (ebd. 83). 'Zauber' und 'teafor' hängen mit dem altisländischen 'taufr' (=Taufe) zusammen. Taufe ist nach Weiler Wiedergeburt, das ursprüngliche Blutmysterium der Mütter.

   Für Weiler ist 'Rot' die notwendige Kraft einen Zustand aufrechtzuerhalten oder zu verändern. Rot bedeutet Wärme und strömende Lebenskraft, rot ist die Liebe und rot ist der Zorn. Rot ist das Blut der erneuernden Lebenskraft, das die Frau bei jeder Geburt und jeder Menstruation verströmt und das dem matriarchalen Bewusstsein als heilig galt (Weiler 1991, 74f.). „Rot ist der Tod, indem sich das Wandlungsmysterium der Großen Göttin manifestiert“ (ebd. 73). Archaische Menschen bemalten ihre Toten für deren Weg in die Unterwelt mit rotem Ocker. Ebenso rot gefärbt ist die Venus von Willendorf, die 25000 Jahre alte  Göttinnen-Figur aus dem Donautal (ebd. 73).

Matriarchale Gesellschaften stehen, wie alle selbstregulierenden Systeme, unter der Gegensatzspannung polarer Kräfte, deren natürliche Gleichwertigkeit das Zusammenleben ohne Gesetzgebung und aufgezwungener Ordnung reguliert (ebd. 72f.).

Die matriarchale Gesellschaftsordnung - wir können sie als 'systemimmanente Steuerung' oder einfach als 'natürliche Ordnung' bezeichnen - ist rot; denn sie ist gebündelte Energie (Weiler 1991, 73; Herv. Im Org.).

Am Ende ihres Kapitels über MA-triarchale Ener-GIE stellt Weiler die Frage, ob es nicht möglich sei, „dass die moderne Menschheit die geistige Kraft der MA-GIE - der innewohnenden, matriarchalen, selbststeuernden Energie - wiederbelebt und für die Gegenwartskrisen sinnvoll nutzt?“ (ebd. 85). Heute könnte die Zeit gekommen sein, das Magische wieder transparent werden zu lassen, meint etwa die Theologin Hanna Gerl (1989, 135ff.); d. h. alle Differenzierungen, die im Laufe der Geistesgeschichte gewonnen wurden, „sind mit dem magischen Anfang, dessen Stärke das Eins-Gefühl ist, lebendig zu verbinden“ (ebd. 136).

 

 

Mond und Erde

 

Der Mond ist eines der Hauptsymbole des matriarchalen Weltbildes. Im Gegensatz zur Sonne ist er ein Ganzheits- und zugleich Wandlungssymbol, da er Licht und Dunkel, Werden und Vergehen, Ebbe und Flut zugleich darstellt (Mulack 1996, 195). Marie König (1988)  verweist aufgrund ihrer Höhlenfunde auf noch eine Verbindung der weiblichen Biologie mit dem Mond. Die drei sichtbaren Mondphasen (Leben, Tod, Wiedergeburt) haben im Symbol des göttlichen Dreiecks die  jungpaläolithischen Kulthöhlen überlebt. Damals galten die Höhlen als der Uterus der Mutter Erde (Mulack 1996, 82). Am Schoß der Frau befindet sich als natürliches Zeichen ein Dreieck. Da dies dem Mann fehlt, kann er kein Leben schaffen. Die Menschen der Frühzeit kannten höchstwahrscheinlich keine Vaterschaft (French        1988, 53). 

 

Der weibliche Zyklus muss  nicht als Reaktion auf die 'Mondin' aufgefasst werden. Gerda Weiler betont in ihrer sehr interessanten Revision archaischer Mythen, dass im matriarchalen Empfinden „auch Männer an die Eros Kräfte des Lebens angeschlossen waren“ (Weiler 1991, 113; Hervorh. im Org.).  In der matriarchalen Gesellschaft  beteiligten sich beide Geschlechter an den Mondritualen. Männer und Frauen gerieten gemeinsam unter der Wirkung des Vollmondes in Ekstase.

Am Mond erlebten die Menschen beides: exakt meßbare Daten und intuitiv erfahrbare Rhythmen. Beide Erlebnisweisen waren wichtig und ergänzten einander (ebd. 113).

Weiler berichtet, wie Sonne und Mond im Lauf der Kulturen immer wieder ihr Geschlecht wechselten. Eine der ältesten Vorstellungen des alten Ägypten sieht Sonne und Mond als identisch an. Es gehört zu dem einheitlichen Bild der großen Göttin mit dem einen Sohn (-Geliebten), dem starken Stier mit seiner himmlischen Mutter. Er wandert in seinen Erscheinungen als Tages- und Nachtsonne über den Himmel.[[9]] Der Himmel hingegen war in den matriarchalen Religionen bei Tag und Nacht weiblich (ebd.).[[10]] 

 

Viele Frauen suchen heute die  Große Göttin in Gestalt der 'Mondin' und greifen dabei lediglich auf die hellenistische Mythologie zurück. Erst in der patriarchalen Überarbeitung der Mythen seit Homer wurden ursprünglich kosmische Göttinnen wie Artemis, Hera oder Diana mit dem Mond in Verbindung gebracht (ebd. 108).

In den Symbolen, die sich matriarchales Bewusstsein zu seiner Weltdeutung geschaffen hat, repräsentiert die Himmelsherrin die umfassende kosmische Idee weiblicher schöpferischer Kraft und niemals allein den Nachthimmel (Weiler 1991, 94).

Erst das patriarchale Weltbild spaltete das Gefühl  vom Geist und ordnete die Frau dem Mond und die Nacht dem Unbewussten zu, während eine männliche Sonne bei Tag das Bewusstsein erhellte. Die patriarchale Wertehierachie hob den Geist und das Bewusstsein an die oberste Stelle. Das lediglich als  'das Unbewusste' verstandene Weibliche kann demnach nicht selbst schöpferisch sein, sondern nur die kreativen Potenzen des Mannes befruchten (ebd. 114). Der Mann muss sich folglich von Gefühlen, die das Mondlicht in ihm hervorrufen könnte, distanzieren. Matriarchale Menschen hingegen kannten keine Hierachie zwischen folgerichtigem Denken und intuitiver Erfahrung (Weiler 1991, 113 ). Sie konnten die gesamte Vielfalt der Schöpfung als Werk der kosmischen Göttin zulassen. Unter den vielen Namen der Göttin  ist „Gaia“ derjenige, der m. E. ihre Ur-schöpferische-Potenz als „Mutter Natur“ am innigsten ausdrückt.

 

 

Gaia

 

Hesiod ist der erste bekannte Dichter griechischer Mythologie. Er erzählt in seiner Theogonie vom Anfang der Menschheit. In dieser Erzählung ist Gaia die schöpferische Kraft, die Erde und die Natur. Zugleich repräsentiert sie die mächtige Göttin und die regierende Königin der Vergangenheit (Schreier 1978, 12). Ungleich der anderen Gestalten des griechischen Olymps ist Gaia bei Homer und Hesiod von keinen menschlichen Projektionen humanisiert (Seiler 1991, 9).

 

Der Mythos in Kurzform:

Gaia ist die göttliche und beseelte Erdenmutter, die als ursprüngliche Schöpfungspotenz aus dem Chaos hervorging. Sie „schuf zuerst den sternigen Himmel unverrückbar für immer als Sitz der ewigen Götter, sie schuf auch die hohen Gebirge, der Göttinnen holde Behausung. Ohne beglückende Liebe gebar sie die Nymphen, die Schluchten und Klüfte der Berge bewohnen, gebar auch das Meer und die brausende Brandung“ (Hesiod 126-133, in: Weiler 1991, 55).

    Im Schlaf gebar sie dann Uranos, den Himmelsgott,  ihren Sohn und Liebhaber. Er blickte von den Bergen auf sie herab, sandte fruchtbaren Regen, der in sie eindrang und sie gebar Gräser, Blumen, Bäume und alle Tiere (Sheldrake 1994, 26). Gaia hat auch die Titanen und Zyklopen geboren; „von allen, die so aus Gaia und Uranos stammten, waren die schrecklichsten sie, verhasst dem eigenen Vater gleich von Anfang. Sobald von ihnen einer geboren, barg er sie alle und ließ sie nicht zum Licht gelangen tief im Schoße der Erde, sich freuend der eigenen Untat, Uranos“ (Hesiod, zitiert in: Schreier 1978, 23). Doch Gaia forderte die Kinder zur Rache auf und formte eine gewaltige Sichel. Damit schnitt der Titan Kronos, der Sohn, dem Vater die Geschlechtsteile ab. „So siegte die Göttin über den frevelnden Gott und schützte die Kinder vor dem sie hassenden Vater“ (Schreier 1978, 22). Der entmannte Uranos wurde „als eine Gestalt der Abstraktion und der Distanz, des nicht An- und Eingebundenseins“  zurück in den Himmel verwiesen (Seiler 1991, 10).

    Gaias Heiligtum und Orakelstätte war Delphi, der Mittelpunkt des Kosmos. Doch dann tötete ihr Urenkel Apollo den großen Python von Delphi und vereinnahmte Gaias Heiligtum. Der Quell der prophetischen Kräfte blieb aber Gaia. Ihre Priesterin, die Pythia, setzte ihre Weissagung unter dem Apollotempel fort (Sheldrake 1994, 26).

 

Die Institution der Mutterschaft ist als Teil des weiblichen Werdens und der weiblichen Identität ein Kristallisationspunkt verschiedener feministischer Identitätspolitiken und emanzipatorischer Strategien. Von den vielen Beispielen, die zitiert werden könnten, um die Frau-Natur-Verbindung in der westlichen Kultur zu veranschaulichen, ist vielleicht der größte Gemeinplatz die Metapher der ,,Mutter Erde." ÖkofeministInnen und Umweltschützer gleichermaßen bringen diese Metapher vor, wenn sie nach einem Ende der Umweltzerstörung rufen.

    In diesem Kapitel werde ich die Beziehung zwischen Frau und Natur, anhand der Bedeutung und Funktion von Mutter und Mutterschaft, in der patriarchalischen Kultur untersuchen

 

 

Am Anfang ist die Mutter

 

das Wort entstand erst später

Die menschliche Geschichte fängt mit dem Weiblichen an. Die Frau ist Trägerin des menschlichen Urchromosoms, sie ist das erste Geschlecht, die biologische Norm. Das determinierende X-Chromosom ist in der menschlichen Zellstruktur weiblich (Miles 1995, 20). Damit die männliche Abweichung von der Urform des Lebens entstehen kann, bedarf es der Abspaltung des divergierenden Y-Chromosoms. [[11]] Das weibliche Ei ist hundertfach größer als das befruchtende männliche Sperma und trägt in sich vereint sämtliche genetischen Informationen des  neuen Menschen. In den ersten sechs Wochen ist jeder Embryo durch primäre Weiblichkeit und nicht durch Geschlechtsneutralität gekennzeichnet (Mulack 1996, 118). Der genetische Bauplan beider Geschlechter ist ebenso grundlegend weiblich wie ihr Ur-sprung aus einem weiblichen Körper nach neun Monaten.

 

Nach neuer wissenschaftlicher Erkenntnis hat die Menschheit eine weibliche Hominide als Gen-Quelle [[12]], die vor 300 000 Jahren in Afrika lebte (Miles 1995, 21). Diese Urmutter stammte notwendigerweise  von einer Mutter ab und ihre Töchter wanderten von dort aus über den gesamten Planeten und mehrten sich.

Die weibliche Biologie ist der Schlüssel zur menschlichen Rasse; der Triumph der Evolution vollzog sich im Körper der Frau. In einem entscheidendem Entwicklungsschritt, der das Überleben der Art sicherte. Das war der biologische Wechsel von der tierischen Brunst, wenn das Weibchen heiß wird, zum menschlichen Menstruationszyklus (Miles 1995, 27)..

Bisher ist die Menstruation als entwicklungsgeschichtliches Schlüsselereignis kaum beachtet worden. Und doch war es diese weibliche Adaption, die dafür sorgte, dass der Mensch sich vermehrte und die Welt erobern konnte.

    Die Femina sapiens kann zwölf mal im Jahr empfängnisbereit sein, während ihre Primatenschwester dies nur einmal alle fünf Jahre vermag. Rosalind Miles (1995, 28ff.) hat über die Folgen für die Frauen nachgedacht, als die seltene Brunstzeit vom Menstruationszyklus verdrängt wurde. Die monatlichen Blutungen lösten nicht nur  das Problem ausreichende Nachkommenschaft  zu bekommen, sondern erhellten auch die intellektuelle Finsternis der Steinzeitmenschen; nicht nur weil sie einen gepolsterten Menstruationsgürtel erfanden.  Man nimmt an, dass 100 000 Jahre alte Strichmarkierungen auf Felsen von Frauen angelegt wurden (French 1988, 52). Die Frauen entdeckten den Zusammenhang zwischen ihrem eigenem Zyklus von 28 Tagen und dem Mondzyklus [[13]]. Ihr eigener Körperkalender hat die Frauen gelehrt abstrakte Prinzipien wie die Zeitaufteilung zu be-greifen, zu ver-knüpfen und symbolisch zu denken.

 

Die Ergebnisse der neueren biologischen und anthropologischen Forschung  zeigen, daß Weiblichkeit die Vorraussetzung für beide Geschlechter ist. Eine wahrlich revolutionäre Erkenntnis, wenn man/frau bedenkt, dass seit der Antike die Männlichkeit als grundlegende Norm gelehrt wurde. Genauso falsch liegt die patriarchale dualistische Denktradition, wenn sie „Frau und Mann zu Gegensätzen erklärt, was biologisch genauso falsch ist wie psychologisch und soziologisch“ (Mulack 1996, 117).

Die Symbolik von 'männlich' und 'weiblich' ist archetypisch transpersonal. Sie wird in den verschiedenen Kulturen irrtümlicherweise auf die Person als ihren Eigenschaftsträger projiziert. In Wirklichkeit ist psychologisch jedes Individuum gemischt (Neumann 1974/1949, 12, Anm.).

In Frauen ist ein matriarchales (Ge-)Wissen wirksam, das auf Beziehungsfähigkeit gründet, während Männer sich mit dem patriarchalen Bewusstsein identifizieren. Dennoch gehört die verborgene Kraft des matriarchalen Bewusstseins zu Frauen und Männern.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      möglicherweise Hier geht es um eine Komplexität, die Ähnliches und Gleiches, Verschiedenes und auch Gegensätzliches enthält. Fest steht jedoch, daß Weibliches auch Männliches umfasst und dieses wiederum eine weibliche Grundlage hat. Dem Weiblichen kommt eine Basis Funktion zu, die das Männliche nicht kennt (Mulack 1996, 117f.).

„Weiblichkeit als Grundmodell des Menschseins“ zu bezeichnen, hat „nichts mit einer Retourkutsche zu tun“ (Mulack 1996, 118). Es ist vielmehr die wissenschaftliche Bestätigung uralter matriarchaler  Anschauungen.

 

 

Das Mutter-Erde-Konzept

 

Im Jahre 1972 entstand die Gaia-Hypothese, wonach die Erde ein lebendiges Wesen ist, das sich selbst steuert und optimiert (Seiler 1991, 10;). Der Kybernetiker und Klimatologe Jim Lovelock und die Mikrobiologin Lynn Margulis erarbeiteten eine wissenschaftliche Konzeption des irdischen Ökosystems als lebendigen Organismus. In ihrer ersten Formulierung lautete die Gaia-Hypothese: „Das Leben oder die Biosphäre regelt oder stabilisiert das Klima und die Zusammensetzung der Atmosphäre  so, wie sie für den eigenen Bestand optimal ist“ ( Krieger, Jäggi 1997, 256).  Bei der Gaia-Hypothese [[14]] sind die Phänomene der Umweltverschmutzung durch die Kybernetik und Steuerungsintelligenz von Gaia weitaus komplexer als die einfachen Ursache-Wirkungsketten der konventionellen ökologischen Weltsichten (Seiler 1991, 7). In Analogie zu einem kranken Lebewesen stellt Lovelock die These auf, dass die Erde in ihrer Geschichte gesund oder krank war. Die Hauptsorge der Gaia-Theorie gilt dem Klima. Durch Überbevölkerung und Herumpfuschen in der Natur können wichtige Teile Gaias für die Regulierung des Klimas ernsthaft beschädigt werden (Krieger, Jäggi 1997, 257).

 

Ausgehend von der Gaia-Hypothese von Lynn Margulis und James Lovelock verlangte Rosemary Radford Ruether eine neue menschliche Ethik im Sinne einer verfeinerten, bewussten Version der „natürlichen gegenseitigen Abhängigkeit“, „die den Menschen nötigt, sich die Leiden anderer vor Augen zu führen und sie mitzufühlen, und Wege zu finden, damit die wechselseitige Beziehung zu einem Zusammenspiel und für beide Seiten lebensfördernd wird“ (Ruether 1994, 68) . Dabei ist sowohl das Zusammenspiel unter den Menschen, als auch mit der Natur oder der Erde gemeint. Ziel wäre wieder „zu staunen, dem Leben Ehrfurcht entgegenzubringen und eine Vision von einer Menschheit zu entwickeln, die in Gemeinschaft mit allen Wesen als ihren Schwestern und Brüdern lebt“ (ebd. 69). Diese Gemeinschaft umfasst alle Lebewesen, Menschen, Tiere, Pflanzen und auch die Erde und die Natur selbst. In verschiedenen kulturellen und religiösen Umfeldern  wurde diese Lebensgemeinschaft durch die Mutter-Erde-Metapher verbildlicht. Es stellt sich die Frage, ob das Mutter-Erde-Konzept als religions- , kultur- und geschlechtsübergreifender Ansatz für ein bestimmtes Verhalten zur Umwelt genutzt werden kann.

 

Die Schriften der Bibel geben verschiedene Hinweise auf die Gleichsetzung der Erde mit einer Mutter. Im Psalm 139, 13-15 steht geschrieben:

Denn du hast meine Nieren geformt, du hast mich geworben im Schoss meiner Mutter. Ich danke Dir, dass ich wundersam bereit bin, wunderbar sind deine Werke, meine Seele erkennt sie ganz. Nicht verborgen waren die meine Knochen, als ich im Geheimen gemacht wurde, als ich gestickt wurde in den Tiefen der Erde“.

Hier wird die Erde also mit dem Mutterschoss gleichgesetzt. Das gilt auch für Hiob 1, 20f.:

Hiob stand auf, zeriss sein Kleid, schor seinen Kopf, fiel auf die Erde, warf sich nieder und sagte: Nackt kam ich aus dem Schoss meiner Mutter und nackt werde ich dorthin zurückkehren.

Nackt werde ich also in den Schoss meiner Mutter (Erde) zurückkehren, so wie ich aus meiner Mutter geboren wurde. Noch deutlichere Worte für die Gleichsetzung der leiblichen Mutter mit der Erde als Mutter allen Lebenden benutzt Sirach 40, 1-11:

Große Mühsal hat Gott den Menschen zugeteilt, ein schweres Joch ihnen auferlegt vom Tag, an dem sie aus dem Schoss ihrer Mutter hervorgehen, bis zum Tag ihrer Rückkehr zur Mutter aller Lebenden: ihr Grübeln und die Angst ihres Herzens, der Gedanke an die Zukunft, an den Tag ihres Todes...

 

In fast allen frühen Kulturen, vom alten China über Indien bis zum Mittelmeerraum, wurden die Kulte der Großen Mutter nachgewiesen (Meisig 1996, 137). „Sinn und Zweck dieser Fruchtbarkeitsriten zu Ehren der Großen Mutter war die alljährliche Erneuerung des Lebens und der Natur“ (ebd. 139). Konrad Meisig berichtet wie sich in Indien das Konzept der Großen Mutter in den Großen Göttinnen Kali, Durga oder Tara vor allem im Shaktismus niederschlug.

 

Carolyn Merchant (1987, 40ff.) hat darauf hingewiesen, dass auch in der westlich-abendländischen Literatur das Mutter-Erde-Konzept sehr verbreitet war. Beispielsweise kannte die populäre Literatur der Renaissance Hunderte von Bildern, in denen Natur, Materie und Erde mit der Frau oder dem weiblichen Geschlecht verknüpft wurden.  Auch in der griechischen Mythologie wird bspw. von Ungeheuern berichtet, die aus der Vergewaltigung der Mutter Erde entstanden (Merchant 1987, 43ff.).

 

David Krieger und Christian Jäggi (1997, 187f.) verweisen auf viele indianische Mythen, in denen die Erde und die Natur grundsätzlich als belebt oder sogar als Geistwesen angesehen wird. Zwar geht die heutige Forschung davon aus, dass das Mutter-Erde-Konzept erst in der Folge von europäisch-indianischen Auseinandersetzungen in Nordamerika entstand und als solches nicht als zentrale traditionelle „indianische“ Glaubensvorstellung angesehen werden kann. Doch scheint diese Vorstellung ein integrierter Bestandteil des neueren „indianischen Nationalbewusstseins“ zu sein, das seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Es waren aber bereits vorher Allegorien bekannt, in denen die Erde mit einer Frau verglichen wurde. So formulierte etwa Smohalla von den Stämmen des Columbia-Beckens um 1800 seine Einstellung zur Landwirtschaft gegenüber den Europäern:

Ihr verlangt von mir, dass ich den Boden pflüge! Soll ich ein Messer nehmen und die Brust meiner Mutter zerfleischen? Dann wird sie mich, wenn ich sterbe, nicht an ihren Busen nehmen, dass ich ausruhe.

   Ihr verlangt von mir, dass ich nach Steinen grabe? Soll ich unter meiner Mutter Haut nach ihren Knochen graben? Dann kann ich, wenn ich sterbe, nicht in ihren Leib zurückkehren, um wiedergeboren zu werden.

    Ihr verlangt von mir, dass ich das Gras schneide und Heu mache und es verkaufe, um reich zu werden wie weiße Männer! Aber wie kann ich es wagen, meiner Mutter Haare abzuschneiden?

(Zitiert nach Merchant 1987, 40)

 

Edmund Runggaldier hat in seiner „Philosophie der Esoterik“ (1996, 91ff.), die Stärkung des dem Weiblichen zugeordneten „Yin-Bezug(s) zur Natur“ gegen die schädliche Dominanz des Yang-Prinzips empfohlen. Die Verehrung der weiblichen Gottheiten dient der Pflege der Yin-Energien.

Die vielen verschiedenen Namen [der Göttin] beziehen sich letztlich alle auf das große weibliche Energieprinzip. Ihre grundlegenden und häufigsten Bezeichnungen dürften wohl sein „Große Göttin“ oder „Große Mutter Erde“, gerade weil die Ausdrücke „Mutter“ und „Erde“ Assoziationen wachrufen, die uns mit dem großen weiblichen Prinzip verbinden. Die Erfahrungen mit der eigenen Mutter sind Abglanz oder Ausdruck der tieferen Erfahrungen mit diesem Yin-Prinzip (Runggaldier 1996, 93f.).

Starhawk ist eine der spirituellen Ökofeministinnen, die durch Rituale und Kulte versucht, die verlorene mystische Welt älterer, in der Mutter Erde wurzelnden Religionen des Heidentums, der Hexerei und der Verehrung von Göttinnen wiederzugewinnen.

Erinnere dich. Stelle dir die Kraft der Mutter wieder her - besitze den Boden, auf dem du stehst, das Sehnen und die Angst - mach ihn zu Deinem eigenen, mit einem Bewußtsein, das tiefer geht als die Siege und Fehler deiner eigenen persönlichen Mutter (Starhawk 1989, 94).

 

Wenn Ökofeministinnen behaupten, Frauen hätten einen anderen spirituellen Bezug zur Erde, in den keine männliche Autorität einzudringen vermag, so kann dies nur an der „biologischen Besonderheit der Frau“ liegen (Diamond und Orenstein 1990, XI). Sie hat die Fähigkeit, aus ihrem „Innersten heraus zu wissen, was es heißt, Mutter Erde zu einem neuen Menschenwesen zu weben“ (Swimme 1990, 21) und ihre Spiritualität über ihren Körper zu erfahren (Spretnak 1990). Andrée Collard zufolge leitet sich die Beziehung von Frauen zur Natur aus ihrer gemeinsamen Erfahrung als Lebensspenderinnen und Versorgerinnen ab.

 

Nichts verbindet das menschliche Tier so tief mit der Natur wie das Fortpflanzungssystem der Frau, das ihr ermöglicht, die Erfahrung, Leben hervorzubringen und zu ernähren, mit der übrigen lebendigen Welt zu teilen (Andrée Collard 1988, 102).

Die Aufgabe der Frau sei demnach, sich „an unsere biophile Macht zu erinnern und sie zurückzuerobern“, und die Zukunft im Namen der Mütter von dem „Nirgendwo der Väter“ zurückzufordern (Collard 1988, 168).

 

Die Mutter-Erde Metapher verbindet u. a. die jüdische und christliche Tradition, Hindus und Stammesreligionen Nordamerikas, Menschen im Umfeld der New-Age Bewegung und die ganzheitlich ausgerichtete WissenschaftlerInnen der Gaia-Hypothese mit den spirituellen Ökofeministinnen.

 

 

Die Bedeutung der  Göttinnenbilder in der politischen Ökologie

 

Ökofeministinnen schreiben die Ursache für die ökologische Krise der rational denkenden, technisierten, patriarchalen Gesellschaft zu, die die Herrschaft über Frauen und Natur ausübt. Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich innerhalb der Frauenbewegung die umstrittene Beschäftigung mit mystischen Frauenbildern, spirituellen Festen und religiösen Vorstellungen von alten matriarchalen Göttinnen entwickelt (Frohnhaus 1994, 36). „Die Göttin“ ist für sie ein Bild für die gegenseitige Verbundenheit aller Dinge in der Natur. Der Kosmos und mit ihm alle Menschen sind der lebendige Leib der Göttin.

Die Verehrung der Göttin wird als eine Kraft für die Neubelebung der Spiritualität und Verzauberung der Welt gesehen und als Quelle für persönliche Veränderungen aufgegriffen.

Wir nennen sie nicht deshalb Göttin, weil wir ihr Geschlecht eng definieren wollen, sondern als ständige Erinnerung daran, dass es uns um das in der Welt manifest gemachte Leben geht. Die großen Kräfte des Geistes manifestieren sich in Natur und Kultur. Die Göttin ist fruchtbare Erde und herangereifte Frucht, auch der Speicher, wo die Früchte der Erde gesammelt, bewacht und verteilt werden. Sie ist der jungfräuliche Hain von Rotholzbäumen und auch die geschnitzte Form, die durch die Kunst von der Kraft des Holzes spricht. Sie ist Lauffeuer und Herdfeuer, der Sternenkern, die Schmiede, das poetische Feuer der Inspiration. Sie hat unzählige Namen und Gestalten, viele davon männlich... (Starhawk 1991, 20).

Das Symbol der Göttin bietet den Frauen an, „eine neue Kultur zu schaffen, in der die Macht von Frauen, ihre Körper, ihr Wille und ihre Bindungen gefeiert werden“ (Christ 1985, 19).

Ynestra King rät, die Frau-Natur-Bindung ganz bewusst „als Ausgangspunkt zur Bildung einer anderen Kultur und einer anderen Politik [zu] benutzen, die intuitive, spirituelle und rationale Formen der Erkenntnis integriert und Wissenschaft und Magie insoweit einschließt, als sie uns in die Lage versetzen... eine freie ökologische Gesellschaft zu ersinnen und und zu schaffen“ (King 1989, 22f.).  Die wichtigsten Fragen dabei sind: „Woher kommen wir und wohin gehen wir?“

 

 

Matriarchales Bewusstsein

 

Matriarchatsforscherinnen haben einer Welt jenseits des Patriarchats Konturen gegeben und die matriarchale Utopie anthropologisch und ethnologisch fundiert. Großen Wert legen sie darauf, dass das Matriarchat nicht einfach die Umkehrung von Patriarchat  bedeutet. Was wird dann in der heutigen Forschung unter dem Begriff Matriarchat verstanden?

 

„Die Erforschung dieser heute verdrängten Phase der menschlichen Kulturentwicklung verändert das gesamte Geschichtsbild und damit das Weltbild“, dabei „werden die üblichen Denk- und Anschauungsweisen, die wir uns in der patriarchalen Epoche angewöhnt haben, in Frage gestellt“, so die bekannteste deutsche Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth (1998/1999, 4). Der Blick in das Matriarchat, bzw. Mutterrecht anderer Kulturen der Vergangenheit und Gegenwart, erscheint unerlässlich, um das Patriarchat realistisch einschätzen zu können und alternative Lebensformen, Gesellschaftsmodelle  und Beziehungsmuster zu entwickeln (Röder 1996, 59). Politische und gesellschaftliche Strukturen müssten idealerweise herrschaftsfrei, egalitär und basisdemokratisch sein.  Auch das Verhältnis zur Natur wäre frei von Herrschaft und Ausbeutung und der Mensch würde im Einklang mit ihr leben (Röder 1996, 61 ).

Wenn matristische Gesellschaften existiert haben bzw. existieren, dann erhält allein die Denkmöglichkeit einer solchen gesellschaftlichen Organisationsform eine gedankliche Sprengkraft, die unser vorhandenes (und dominantes) patriarchalisches System in seiner Selbstverständlichkeit, seiner Arroganz und seiner scheinbaren Unüberwindlichkeit und Unausweichlichkeit nicht nur theoretisch in Frage stellt (Schmerl/ Ritter, 1981, 96, 83).

 

„Matriarchat“ ist heute ein subjektiv geprägter, schillernder Begriff, für den es keine vom „mainstream“ anerkannte Definition gibt, „weil dieses Gebiet tabuisiert war und ist“ (Göttner-Abendroth 1997, 14). Für manche Feministinnen bedeutet es das „Zeitalter der Großen Göttin, als die Frauen das Sagen hatten und 'weibliche' Werte wie Frieden und Ökologiebewusstsein die Kultur prägten. Hier klingt das Matriarchat wie die Verheißung eines Frauenparadieses“ (Röder 1996, 8). Für andere bedeutet es die Horrorvision ungezügelter Frauenherrschaft und Unterdrückung der Männer.

  Göttner-Abendroth erläutert die Problematik bei der Übersetzung des Begriffs „Matriarchat“ ins Deutsche:

Entgegen dem Anschein ist er nicht die Parallele zum Begriff „Patriarchat“. Denn „arché“ heißt im Griechischen sowohl „Herrschaft“ wie „Anfang“, wobei die zweite Bedeutung die ältere ist. Beide Bedeutungen sind nicht in eins zu setzen; sie fallen nur denjenigen zusammen, die aus Unwissenheit meinen, vom Anfang der Menschheitsgeschichte an habe es Herrschaft gegeben. Legenden dieser Art sind zu Dutzenden von patriarchalen Theoretikern in Umlauf gesetzt worden. Übersetzen wir die Begriffe differenzierter, so heißt „Patriarchat“ (arché = Herrschaft) klarerweise „Herrschaft der Väter“, aber „Matri-archat“ (arché = Beginn) heißt „am Anfang die Mütter“. Und das trifft die Sache (Göttner-Abendroth 1997, 13).

Archälogische Belege für ihre Thesen kann die Matriarchatsforscherin Göttner-Abendroth nicht vorweisen. Die Archäologin Brigitte Röder beklagt einen allgemeinen „Mangel an archäologischer Grundlagenforschung zum Komplex Matriarchat/Geschlechterverhältnisse“ (Röder 1996, 153f.).

 

Bedeutsam an der verstärkten Hinwendung von Frauen zur 'Großen Mutter'  ist für Gabriele Frohnhaus „die Begegnung mit der weiblichen Gottheit, die als Mutter Macht, Würde, Sexualität und Liebe ausstrahlt und sich hervorragend als positives Identifikationsobjekt eignet“ (1994, 70). Am wichtigsten ist die Matriarchatsdebatte im Umfeld persönlicher Identitätsfindung, politischer Utopien, des Kampfes gegen das Patriarchat und des sachte beginnenden Aufbaus einer weiblichen Kultur, meint auch Brigitte Röder (1996, 62).

    Die verschiedenen Mythen und Geschichten um matriarchale Göttinnnen beziehen sich immer wieder auf den weiblichen Körper. „Menstruation, Schwangerschaft, Geburt und Nähren werden macht- und lustvoll dargestellt und geben Frauen die Chance, sich selbst als Teil dieser weiblichen und mütterlichen, aber auch sexuell freizügigen und wilden Gottheiten zu erfahren“ (Frohnhaus 1994, 36).  Insbesondere Menstruation und Geburt werden im Umfeld der Göttin nicht mehr wie eine Krankheit behandelt, sondern als ein spirituelles Erlebnis gefeiert.

 

In allen Teilen der Welt verweisen archäologische Funde auf die Verehrung einer Vielzahl von weiblichen Gottheiten, die als fruchtbare und lebenspendende 'Erdmutter' dargestellt wurden (vgl. Mulack 1996, Röder u.a. 1996). Die ältesten Symbole der Menschheit sind weibliche Symbole. Die ältesten Skulpturen sind weibliche Skulpturen . Männliche Symbolik ist seit der Altsteinzeit bis weit ins Neolithikum kaum auffindbar [[15]]. „Und wenn, dann ist sie immer der Symbolik des Weiblichen beigeordnet und als Schöpfung des weiblichen Geschlechts ein Aspekt der Großen Göttin“ (Mulack 1996, 83).

    Die „göttliche“ Kontrolle der Natur durch die Frau war sympathisch-magische Zusammenarbeit. Nie hätte den Menschen in verflossen-vergessenen Zeiten eingeleuchtet einen HERRN als Schöpfer des Himmels und der Erde, der Natur, der Tiere und der Menschen zu verehren. Weibliche Körperräume, kosmische Räume, irdische Räume und körperliche Räume waren durch Zigjahrtausende hindurch Orte einer bergenden, umfassenden und hervorbringenden weiblichen Gegenwart (Mulack 1996, 82f.). „Die matriarchalen Göttinnen wurden vielfach dargestellt als umfassende Trägerinnen des Lebens, deren Lebensvollzug neben dem Gebären sinnliche, kreative, sensitive und geistige Fähigkeiten umschloss“ (Frohnhaus 1994, 38).

    Auch die Fruchtbarkeit der Frauen hat sich nicht nur auf ihre biologische Gebärfähigkeit beschränkt, sondern alle Lebensbereiche umfasst: „das Sammeln und Zubereiten von Nahrung, der Umgang mit Pflanzen und Tieren, die Erfindung von Werkzeugen, das Regeln der sozialen Beziehungen, das Versorgen aller an der Dorfgemeinschaft Beteiligten und das Zelebrieren religiöser Riten und Feste“ (ebd.).  

 

Im neolithischen Kult der Großen Mutter erkannte man die Fruchtbarkeit von Frau und Natur als eine Einheit. Für Marylin French ist es dabei wichtig festzuhalten, „dass die Menschen zwar bereits begonnen hatten, die Natur zu beherrschen, sich aber dennoch nicht von ihr getrennt begriffen“ (French 1988, 67).

Die Göttin, bzw. das Prinzip der Fruchtbarkeit, der Wiedergeburt oder des Wachsens und Werdens war noch immer Teil der Natur und waltete innerhalb dieser selbst. Das Göttliche war noch in der Welt und im Körperlichen, in den Lebewesen und Pflanzen der Erde, in Geburt und Tod enthalten (French 1988, 67).

Heide Göttner-Abendroth fand auch in heutigen Matriarchaten, die Menschen in die Gesetze der Naturkreisläufe eingebettet. In matriarchalen Gesellschaften werden Frauen  u. a. deshalb so sehr geachtet, „weil sie Wiedergebärerinnen sind“ (Göttner-Abendroth 1997, 18). Für Gerda Weiler ist die Göttin die „Metapher für ein Weltbild, in dessen Zentrum der Wiedergeburtsgedanke und der Glaube an die Kraft des weiblichen Blutes steht, Metapher für die Vollmacht des Weiblichen, den Tod zu überwinden“ (Weiler 1990, 160). In der Vorstellung matriarchaler Menschen, so Göttner-Abendroth, kehrt jede verstorbene Person als kleines Kind in die selbe Sippe immer wieder zurück. Dies haben sie von den Erscheinungsformen der sie umgebenden Natur gelernt:

 In der Natur geschieht im Vegetationsjahr auch das Wachsen, Welken und Vergehen und die Wiederkehr. Matriarchale Menschen sind davon überzeugt, dass jede Pflanze, die im Herbst verwelkt, im nächsten Frühling wiedergeboren wird. So ist ihnen die Erde als die große Ernährerin gleichzeitig die wiedergebärende Grosse Mutter (Göttner-Abendroth 1997, 18).

Laut Göttner-Abendroth fehlt  den matriarchalen Menschen „eine dualistische Moral, die „Gutes“ benennt  und „Böses“ davon abspaltet und mit dem Abspalten des „Bösen“ nie fertig wird (denn das „Böse“ wuchert stets neu, wenn man einmal das „Gute“ gepachtet hat)“ (ebd.). Die matriarchale Grundvorstellung von der Welt und dem Leben betont vielmehr den ständigen Wechsel der hellen und der dunklen Seite. Das Dunkle ist ebenso notwendig wie das Helle und bedingt einander: „Tag und Nacht, Sommer und Winter, Kommen und Gehen, Leben und Tod“ (ebd. 18f.). Im matriarchalen Bewußtsein ist „der Tod weder böse noch das Nichts“,so Gerda Weiler, „er ist der andere Pol des Daseins, Durchgangsstufe zu neuem Leben“ (1990, 160). Da alles zu seiner Zeit notwendig ist, fällt die Trennung zwischen „Gut“ und „Böse“ weg. Diese grundlegende, kosmische Polarität gilt auch für die Geschlechter.

 

     Matriarchale Menschen betrachten das Männliche und das Weibliche als gleichwertig und -notwendig. Da sie kein dualistisches Weltbild kennen, wird auch nicht zwischen dem Profanen und dem Sakralen unterschieden. Dies hat für Göttner-Abendroth zur Folge, dass den matriarchalen Menschen „die ganze Welt mit ihren Erscheinungen heilig [ist], sie achten und verehren die Natur und würden sie niemals ausbeuten und zerstören“ (1997, 19).

 

 

Im Verlauf der patriarchalen Bewusstseinsentwicklung entthronten die männlichen Licht- und Sonnengötter die Große Göttin. Ihre umfassende Kraft wurde in patriarchaler Manier in Teilaspekte zerlegt. Den Glauben an die kosmische Himmelsherrin hat die patriarchale Weltdeutung im Verlauf der Jahrtausende verfremdet, entstellt und uminterpretiert (Weiler 1991, 100). Die Göttin musste ihre schöpferischen Kräfte an den monotheistischen Vatergott abtreten.

    Die Kosmische Ordnung war im matriarchalen Bewusstsein unlösbar ins praktische Leben verwoben. „Die Milch aus den Brüsten der Göttin“ umfasste alle geistigen und materiellen Gaben an die Menschen (Weiler 1991, 67f). Im patriarchalen Bewusstsein ist das Materielle von dem Geistigen getrennt. Im Symbol der 'alma mater' gründeten Patriarchen die Universität, die ihre Söhne mit  reinem Geist nähren sollte. Kein patriarchales Denkmodell vermag jedoch den Anspruch der Männer zu begründen, der Frauen das Recht auf Weltdeutung verweigert und ihnen lediglich eine Existenz im Schatten der männlichen Geistkultur erlaubt.

 

Nach Gerda Weiler ist der Muttermord, die endgültige Abschaffung der Großen Göttin, die letzte Station auf dem Wege zum Sieg des Patriarchats (Weiler 1991, 82). Demnach lauert im patriarchen Bewusstsein unterschwellig die Angst, dass Vergewaltigung und Muttermord, mit denen sich das Patriarchat installieren konnte, nicht ungerächt bleibt (ebd. 52). Sie stellt fest, dass  diese Angst eine echte Begegnung zwischen Mann und Frau, zwischen Menschen überhaupt und zwischen Mensch und Natur verhindert.

Die Angst vor dem Weiblichen, vor der 'Mutter Natur' und vor der individuellen Frau verhindert den so notwendigen Machtverzicht des Mannes, ohne den ein Überleben der Menschheit nicht denkbar ist.

 (Weiler 1991, 52)

Der Wandel der Mythologien spiegelt  das gewandelte Geschlechterverhältnis  und den Beginn eines veränderten Verhältnisses des Menschen zur Natur wieder. Als mann die matriarchalen Göttinnen entmachtete, wurde auch der heilige Zyklus von Geburt, Tod und Wiederkehr aufgehoben. Die Vorgänge im weiblichen Körper wurden abgewertet und das Blut als Zeichen der Unreinheit und des Todes tabuisiert (Frohnhaus 1994, 42). An die Stelle der Großen Muttergöttin wurde der patriarchale Vatergott gesetzt und in seinem Gefolge verdrängten die Naturwissenschaften die naturkundliche Heilkraft der Frauen. Dieser 'Mythenwechsel' bedrohte in Gestalt der Hexenprogrome die weibliche Existenz.
    Gabriele Frohnhaus hat darauf hingewiesen, dass sich hier ganz offenkundig die politische Bedeutung und die Macht des Mystischen zeigt (1994, 42f.). Nach ihrer und meiner Meinung stellen die Göttinnen und ihre Mythen „eine fruchtbare Quelle dar, um der schöpferischen Potenz eines weiblichen Prinzips symbolische Achtung und Anerkennung zukommen zu lassen“ (Frohnhaus 1994, 39). In diesem Sinne ist auch Gerda Weilers Aussage „Das Mythologische ist politisch“ zu verstehen (1990, 93). Der Wandel der Mythen hatte nicht nur die Herabsetzung des Weiblichen zur Folge, „sondern auch die Vernichtung von Symbolen, Riten und Mythologien, die weibliche Fähigkeiten, Leidenschaften und Lebensenergien beschrieben“ (Frohnhaus 1994, 39). Da die „Verbindung zwischen dem weiblichen Selbst über die symbolisierte Mutter zur Mutter-Göttin“ unterbrochen wurde, kam es „zur Entfremdung und Verletzung des eigenen Ich-Bewusstseins“, das Hilfe in „starken und lebensbejahenden Weiblichkeitsbildern sucht“ (ebd. 43).

 

Zu allen Zeiten ist im Schatten der Patriarchatskultur eine Kraft lebendig geblieben, deren Wurzelwerk tief im matriarchalen Bewusstsein steckt. Sie kompensierte das zerlegende patriarchale Denken mit seiner starren Gesetzlichkeit durch kontemplativ ganzheitliche Anschauungen und anarchische Selbststeuerung. „Die ausgleichende Kraft der matriarchalen Weisheit setzte dem Logos der Macht die erlösende Kraft des Eros entgegen“ (Weiler 1991, 174).

     Dem matriarchalen Bewusstsein wohnt eine Dynamik inne, die in der Geschichte immer wieder zu Oppositionen geführt hat, was von den patriarchalen Wissenschaften sorgfältig verdrängt wurde (Weiler 1991, 174). Heide Göttner-Abendroth spricht über die matriarchale Weisheit von einem „starken Strom, der teils oberirdisch, teils unterirdisch verläuft“, aber nie abreiße (Göttner-Abendroth 1980, 174).

Die matriarchale Frau, die ihr Selbstgefühl aus der Identifikation mit der kosmischen Liebesmacht der Göttin herleitet, wird für das patriarchale Bewusstsein zur unerträglichen Herausforderung. Sie, die zur Unterwerfung nicht bereit ist, die frei über ihren Körper verfügt, die aktiv dem Mann die Liebe anbietet, die Forderungen stellt und das Recht auf Verweigerung für sich in Anspruch nimmt, die schöpferisch und leistungsfähig ist, Trägerin und Erhalterin der menschlichen Kultur - sie wird in der patriarchalen Gesellschaft zum unverdaulichen Brocken (Weiler 1991, 148).

Das Symbolsystem der Göttin kann den erwünschten Wandel der „tiefsten Werte einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder“ (Christ 1985, 6) herbeiführen. Diese Werte fördern „die weibliche Selbstbejahung, die Affirmation weiblicher Macht und eine friedliche, sozial und ökologisch verträgliche Organisation der Gesellschaft“ (Scherzberg 1992, 13).

 

 

Ökofeministische  Spiritualität

 

Der Ökofeminismus ist für Viele die Brücke zwischen politischer Theorie und den Bewegungen der Göttinnen Spiritualität. In den Siebziger- und Achtzigerjahren erblühte in den Vereinigten Staaten die Bewegung der feministischen Spiritualität. Die ersten grundlegenden Werke [[16]] waren Mary Dalys „Beyond God the Father“ (1973; dt. „Jenseits von Gottvater, Sohn & Co“) und   Starhawks „The Spiral Dance“ (1979).

 

Es ist äußerst wichtig, die Geschichte der Verehrung der Göttin zu enthüllen, denn die Göttin bejaht die weibliche Kraft, den  weiblichen Körper und den weiblichen Willen sowie Bindungen und Erbe der Frauen, worauf Carol Christ in ,, Warum Frauen die Göttin brauchen"(1985; amerik Original 1979) hinweist. Christ argumentiert, dass „die Religionen, die auf die Verehrung eines männlichen Gottes zentriert sind. . . Frauen in einem Zustand psychologischer Abhängigkeit von Männern und männlicher Autorität halten, während sie gleichzeitig die politische und soziale Autorität von Vätern und Söhnen in den Institutionen der Gesellschaft rechtfertigen" (1985, 16).

 

    Gemäß Orenstein ,,trennt die Spiritualität einer Göttin nicht Himmel und Erde, Geist und Gegenstand, Mensch und Tier; es ist eine Spiritualität, die die Erde als heilig und die Göttin als die Große Mutter allen Lebens darstellt" (1990, 6). Aus diesem Grund hält Orenstein die Spiritualität der Göttin für eine wichtige Dimension des Ökofeminismus, und erachtet ,,die Rückkehr der Göttin als ein Zeichen der Rückkehr zu einer Haltung der Ehrfurcht vor der Erde, unserer Mutter und zu einem ökologischen sowie auch nicht-sexistischen Bewusstsein" (ebd. 14). Die Rolle der Göttin ist auch wichtig bei der Rückbesinnung auf die feministische Geschichte:

 

Das Sinnbild der Göttin erinnert Frauen auch daran, dass unsere legitime Geschichte begraben ist, und dass wir durch ihre Ausgrabung lernen, wie kurz die patriarchalische Periode in der menschlichen Geschichte gewesen ist gegenüber den 30.000 oder mehr Jahren matriarchalischer Geschichte, in denen auf Göttinnen zentrierte Kulturen in Mitteleuropa, Anatolien und dem Nahen und Mittleren Osten blühten (Orenstein 1990, 6; Übersetzung C.S.).

 

Erinnerung und Rückforderung der Vergangenheit ist eine wichtige Bestätigung für viele nichtdominante Kulturen. Adriane Rich bemerkt:

 

Es ist nichts Neues, zu sagen, dass Geschichte die Version von Ereignissen ist, wie sie der Eroberer, der Beherrscher, erzählt. Sogar die Beherrscher bestätigen dies. Was gefühlvoller und pragmatischer von Farbigen, weißen Frauen, Lesbierinnen und Schwulen sowie Leuten mit Wurzeln im industriellen oder ländlichen Alltag gesagt wurde, ist, dass wir ohne unsere eigene Geschichte nicht in der Lage sind, uns eine Zukunft vorzustellen, weil wir des kostbaren Hilfsmittels beraubt sind, zu wissen, woher wir kommen: Mut und Schwankungen, Visionen und Niederlagen derer, die vor uns gingen (1986,143; Übersetzung C.S.).

Aber braucht der Ökofeminismus wirklich die Spiritualität einer Göttin? Die Wiederbelebung der Göttin wurde am schärfsten von Janet Biehl (1991, 61-88) herausgefordert. Sie argumentiert, dass es keine notwendige Wechselbeziehung zwischen der Verehrung einer Göttin und einem gleichwertigen oder gehobenen Stand für Frauen gibt. Darüber hinaus gäbe es keinen Beweis, dass die Göttin, die von den Leuten in verschiedenartigen neusteinzeitlichen Kulturen verehrt wurde, eine Naturgöttin war. In der Vorgeschichte habe es keinen getrennten Naturbegriff gegeben, zwischen den Reichen von Natur und Menschheit wurde bis in griechische Zeiten nicht unterschieden, wendet Biehl ein. Wieviel vom Mythos der Göttin ist historische Realität? Nach Biehl ist die Göttin mehr Sage als Tatsache, und mit der Politik vom Mythos werden die Gläubigen leichter manipulatiert.

 

Das Grundprinzip des Ökofeminismus ist die Verbindung allen Lebens miteinander. Während dieser Grundsatz im Denken amerikanischer Eingeborener zu finden ist, ist er auch typisch für Hinduismus, (Zen-) Buddhismus und andere Philosophien. Das Bewusstsein der Verbundenheit, eine Erkenntnis der Einheit, überschreitet die bloße Ego-Identität. Mit seinem Verständnis der Verbindung baut der Ökofeminismus eine Brücke zwischen Politik und Spiritualität. „Die Spiritualität ist  in der Tat politisch," schreibt Judith Antonelli, "[indem] sie sich mit der Verteilung der Macht befasst" (1982, 402). Weil „Geist und Gegenstand nicht zweigeteilt sondern Innen- und Außenseite derselben Sache sind," (Ruether 1989, 145) können ÖkofeministInnen dahingehend verstanden werden, dass sie gleichzeitig eine politische und eine spirituelle Aussage machen, wenn sie davon sprechen, dass alles natürliches Leben miteinander verbunden ist.

 

Die Göttin, die die Seele der Erde, des Himmels, des lebendigen Wesens ist, in deren Leib wir Zellen sind, war einmal in uns wach, und alle kannten sie und ehrten sie in Frauen und Männern, in der Natur, im Wechsel der Jahreszeiten und in den Veränderungen unseres Lebens, in den Werken, die wir mit unserem Geist und unseren Händen schufen, in den Pflanzen und Tieren, in Mond, Sonne und Meer, in Baum und Stein und im komplexen Tanz, den alle Lebewesen miteinander tanzen. Wir lebten auf der Erde im Gleichgewicht. Frauen waren frei, und Männer auch, denn wir hatten noch nicht gelernt, uns gegenseitig zu unterdrücken (Starhawk 1991, 381).

Viele Frauen und Männer zog es  zum Ökofeminismus, aus Respekt vor der Natur und aus Sinn für Wunder. Ökofeminismus ist demnach ein Weg, politische Theorie und Praxis als das zu beschreiben, was  intuitiv als wahr erkannt wird. Durch ein Leben in Harmonie mit der Erde werden ihre Weisen und Mysterien verstanden. Kenntnis und Bewusstsein der Verbindung untereinander liefern den Anstoß sowohl für ökofeministische politische Taten als auch für ökofeministische Spiritualität.

 

Einige politische AktivistInnen haben gezögert, die Spiritualität einzubeziehen, aus Furcht, dass alle Spiritualität unpolitisch wäre, dass die Konzentration auf das “innere" Leben von der Tätigkeit im “äußeren" Leben ablenken würde. Für den Ökofeminismus ist diese Annahme offenkundig unwahr. „Wenn wir verstehen, dass alles miteinander verbunden ist," schreibt Starhawk (1990, 74), „sind wir zu einer Politik und einer Reihe von Aktionen aufgerufen, die aus dem Mitleid kommen, aus der Fähigkeit, buchstäblich mit allen Lebewesen auf der Erde zu fühlen." Die Spiritualität motiviert zu politischer Arbeit. Es ist diese Ehrfurcht vor der natürlichen Welt, zusammen mit der einfachen Logik der Theorie, die Leute in Aktionen zum Nutzen der Erde hineinzieht.

 

 

 

Die politische Dimension der spirituellen Ökologie

 

Die ökologische Relevanz der Spiritualität liegt darin, alle Lebensformen als heilig zu betrachten und zu respektieren. Diese Heiligkeit entstammt keiner transzendenten Gottheit, sondern ist der alltäglichen Arbeit und in den Dingen immanent. Spiritualität ist eher mit Magie als mit Religion verwandt. Die „Dimension Spiritualität“ hat Heike Kahlert einerseits „in ihrer 'hellen Seite' als Bild der Demokratie und des Dialogs“ beschrieben, und andererseits „in ihrer 'dunklen Seite' als Bild von Hierarchie und Ritual“ (1994, 184). In Starhawks (1992) Interpretation ist Spiritualität weitgehend mit weiblicher Sinnlichkeit und sexueller Energie identisch, die alle Lebensformen miteinander verbindet. Das Bewusstsein unseres Einsseins mit allem Leben auf diesem Planeten verringert gleichzeitig den eigenen Egoismus und die Angst vor dem Tod.

Wir kommen von der Erde, und zu der Erde werden wir zurückkehren. Leben nährt sich vom Leben. Wir leben, da andere sterben, und wir werden sterben, damit andere leben können. Das göttliche Element, das unseren Lebensweg bestimmt, ist Leben, Tod und Veränderung (Christ 1990, 65).

 Maria Mies hat die schöne Definition formuliert: „Das Spirituelle ist die Liebe, ohne die kein Leben erblühen kann, die allen Dingen innewohnende Magie“ (1995, 28).

 

Starhawk nennt in ihrem spiritualistischen Klassiker „The Spiral Dance“ (1989b) drei zentrale Aspekte ökofeministischer Spiritualität: Immanenz, wechselseitige Verbundenheit und Gemeinschaft. Die Vorstellung von Immanenz sieht die Erde als lebendigen Organismus:

Das bedeutet, dass der Geist, das Heilige, die Göttin, der Gott - wie auch immer wir dazu sagen mögen - nicht irgendwo außerhalb der Welt zu finden ist - es ist in der Welt: es ist die Welt und es ist in uns (Starhawk 1990, 73).

Die Vorstellung eines lebendigen und alles durchdringenden Geistes bedeutet, dass wir alle Bestandteil dieses Lebens und miteinanderverbunden sind und somit Teil derselben lebendigen Gemeinschaft. Das Ziel der erdverbundenen Spiritualität besteht für Starhawk darin, diese Gemeinschaft „zu einem Ort zu machen, an dem wir alle mächtig werden und mit der Erde verbunden sein und zusammen Schritte zu ihrer Heilung unternehmen können“ (ebd. 74). Immanenz, wechselseitige Verbundenheit und Gemeinschaft anzuerkennen ist zwangsläufig auch ein Ausdruck der Gleichheit aller, denn „jede/r von uns ist die Göttin, ist Gott, wir haben ein unveräußerliches Recht darauf , hier zu sein und hier zu leben“ (ebd. 76).

 

 

 

Literatur

 

 

Biehl, Janet (1991): Der soziale Ökofeminismus und andere Ansätze, Grafenau (Trotzdem).

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Christ, Carol (1989): „Die Gegenwart der Göttin wird überall wahrgenommen“, in: Schmidt-Biesalski (Hrsg.) (1989), S. 21-30.

Christ, Carol (1990): „Rethinking Theology and Natur“, in: Diamonnd, Orenstein (Hrsg.)(1990).

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Kahlert, Heike (1996): Weibliche Subjektivität: Geschlechterdifferenz und Demokratie in der Diskussion, Frankfurt a. M., New York (Campus).

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Stopcyk, Annegret (1998): Sophias Leib - Entfesselung der Weisheit: Ein philosophischer Aufbruch, Heidelberg (Carl-Auer-Systeme).

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Starhawk (1990): „Power, Authority, and Mystery: Ecofeminism and Earth-Based Spirituality“, in: Diamond, Irene/ Orenstein, Gloria (Hrsg.)(1990), S. 73-86.

Starhawk (1991): Mit Hexenmacht die Welt verändern, Freiburg i.Br. (Bauer).

Starhawk (1992): Der Hexenkult als Urreligion der Grossen Göttin, Magische Übungen, Rituale und Anrufungen, München (Goldmann).

Weiler, Gerda (1990): Ich brauche die Göttin: Zur Kulturgeschichte eines Symbols, Basel (Sphinx).

Weiler, Gerda (1991): Der enteignete Mythos: eine feministische Revision der Archetypenlehre C. G. Jungs und Erich Neumanns, Frankfurt a. M., New York (Campus).

 



[1]   Sokrates erläutert: „Als die Philosophie die Seele zur Erziehung übernahm, lag diese völlig in den Banden des Körpers und klebte ihm an; auch war sie gezwungen, die Dinge durch ihn wie durch ein Gitter zu betrachten, nicht aber durch sich allein ... Und die Philosophie erkannte das Schreckliche dieser Einkerkerung“ (Platon, in : Stopczyk 1998, 293). Für Sokrates und Platon war der Körper das Gefängnis der Seele.  Nur die Philosophie kann die Seele vom Körper befreien.

 

[2]  Göttner-Abendroth (1980, 61) erzählt eine Variante, wie dieses Problem gelöst wurde: Isis entdeckt das Kleinod in Hinterindien in Form einer Lotosblüte. Diese ist ein Synonym für das weibliche Sexualorgan, aus der Vulva kommt alles Leben hervor. Diese Blume ist deshalb zum Symbol für Wiedergeburt geworden. Indem Isis in der Lotosblüte den Phallus des Osiris findet vervollständigt sie ihn und ermöglicht seine Wiedergeburt.

 

[3]    In der europäischen Geschichte herrschten Bilderkämpfe bis zur Reformation. „Christen ermordeten Männer und Frauen, weil sie ein heiliges Bild nicht abhängen lassen, eine heilige Eiche nicht fällen lassen wollten oder ein goldenes Kalb verteidigten“ (Stopczyk 1998, 120).

 

[4]  Weitere christliche „Verkörperungen der ewig sich wandelnden altjungen Göttin Natur“ sind nach Gerls überzeugender Darstellung die „drei Königstöchter“ Embede, Warbede und Wilbede, die als Sandsteinrelief im Wormser Dom stehen (vgl. 1989, 129ff). Ein weiters Beispiel sind die „drei Jungfrauen“ Katharina, Barbara und Margarete, unter den vierzehn sonst männlichen Nothelfern, deren Verehrung im 14. Jahrhundert zur Zeit der schwarzen Pest aufkam (ebd. 141).

 

[5]  Wie in der Apokalypse beschrieben, wurde sie in einem ganz umkleidenden Strahlenkranz dargestellt..

 

[6]   Der Name „Eleusis“ bedeutete „Eilythuies“, „die rasende Gottheit“ (Göttner-Abendroth 1980, 36).

 

[7]   Vgl.:  Friedrich Kluge : „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“, Berlin 1957, S. 483.

 

[8]   Die gängige Machtforschung ist von Max Webers Definition geprägt: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben  durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1980, 28). In diese Definition ist ein Machtverhältnis eingeschlossen, in dem sich nur die jeweils stärkere Seite behauptet. Das Element der Gewalt durchbricht letztlich das Widerstreben und dem Sieger wird die Macht zugesprochen. Mit diesem Machtbegriff baute Weber eine definitorische Brücke zu seiner Herrschaftssoziologie. Herrschaft ist für Weber ein Sonderfall von Macht (ebd 541).

 

[9]   Der Pharao war der Vertreter des Mondgottes auf dem irdischen Thron. Tut-Anch-Amun trug in seinem Grab das Mondpektoral: ein Skarabäus schiebt die Mondbarke vor sich her, die das linke Auge, das Mondauge, die schlichte Mondsichel und den Dunkelmond trägt (Weiler 1991, 102).

 

[10]  Die kosmischen Göttinnen des alten Ägypten Hathor und Nut sind nicht Göttinnen des Himmels und sie wohnen auch nicht im Himmel, sie sind der Himmel selbst. Inschriftliche Zeugnisse sagen über die Göttin aus: „ Hathor ist die Mutter der Sonne. Die Sonne reift im Schoße der Hathor heran“ (vgl. Weiler 1991, 98f.).

 

[11]  Das Y-Chromosom wird in manchen Theorien als verkrüppelte Variante des X-Chromosoms betrachtet. Vgl. Francis Swiney (1912): Woman and Naturel Law; Valery Solanas (1968): The Scum Manifesto (New York), zu deutsch: SCUM - Manifest zur Vernichtung der Männer; Elizabeth Gould Davis (1971): The First Sex, S.34: „dieses kleine und verkrüppelte Y-Chromosom ist ein genetischer Irrtum...Die ersten Männer waren Abweichungen, hervorgerufen durch irgendeinen Gen-Schaden...“

 

[12] Miles beruft sich auf Untersuchungen der Universitäten Berkeley und Oxford, die Mitte der 80er Jahre unabhängig voneinander einen genetischen Fingerabdruck isolierten, der der gesamten Menschheit gemein ist. Trotz der Unterschiedlichkeit der Weltbevölkerung ist dieser genetische Fingerabdruck über die Jahrtausende gleichgeblieben  und er ist weiblich.

 

[13]  Eine Schwangerschaft dauert 40 Wochen, das sind 10 Mondmonate bei 28 Tagen im Mondzyklus. Die 10 ist die Zahl der Finger, an-hand derer noch immer gezählt wird. Die Pythagoräer bezeichneten die Zehn noch als „allumfassende, allbegrenzende Mutter“ Sie kann als Summe der ersten vier Zahlen als gleich-schenkliges Dreieck dargestellt werden. „Für die Pythagoräer heißt das, dass aus dem Urgrund des Seins und der Polarität der Erscheinung, der dreifachen Wirkung des Geistes und der Vierzahl der Materie (4 Elemente) die umfassende Zahl entsteht, in der nun auf einer höheren Ebene die Vielheit wieder zur Einheit wird: die Zehn ist die erste Stufe zu einer neuen Vielheit...So sind 10 und 1 mystisch das gleiche“  (Endres 1995, 197; Hervorh. C.S.).

 

[14] Lovelock kritisiert die gängige Ökologie als anthropozentrisch und zu eng. Als Argumente für die Gaia-Hypothese hat Lovelock unter anderem angeführt, dass das Klima auf der Erde trotz eines um 25% gestiegenen Energieausstosses der Sonne in den letzten 3,6 Milliarden Jahren so geblieben ist, wie es für das Leben erforderlich sei. Außerdem spreche für die Hypothese, dass der Planet lebt, das dauerhafte Nebeneinander von Sauerstoff und reaktiven Gasen in der Atmosphäre. In den Athmosphären „toter“ Planeten, wie Mars und Venus herrschen Zustände von annäherndem chemischen Gleichgewicht (Krieger, Jäggi 1997, 257).

 

[15]  Von den 200 bisher gefundenen Statuetten stellen nur zwei unmißverständlich Männer dar. Brigitta Kunz weist aber darauf hin, dass die Gestalt der Hälfte der übrigen Figuren zu weit abstrahiert ist, als das eine Geschlechtszuordung möglich wäre (in Röder  u.a.1996, 204).

 

[16] Bedeutsam für die Entwicklung der ökofeministischen Spiritualität waren außerdem die Arbeiten von Carol Christ (Womanspirit Rising), Merlin Stone (When God Was a Woman), Charlene Spretnak (The Politics of Women's Spirituality and The Spiritual Dimension of Green Politics), Monica Sjöö und Barbara Mor (The Great Cosmic Mother), sowie Gloria Feman Orenstein (The Recovering of the Goddess), um nur einige wenige zu nennen.